Zwischen Leben und Tod

Lukas Hartmann erforscht in seinem neuen Roman »Ein Bild von Lydia« das Leben einer rätselhaften Frau aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel.

Eine breite Treppe führt hinunter in den Ausstellungsraum des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig. Alte Landkarten und Schriftzeugnisse aus vergangenen Epochen hängen an den Wänden. In kleinen Glasvitrinen sind Figuren aus Kalkstein, Ton und Marmor zu sehen. Von einer Empore aus scheint auch der mit Hieroglyphen geschmückte Sarkophag die Lesung des renommierten Schweizer Schriftstellers zu verfolgen.

Hartmann hat bereits viele historische Stoffe in seinen Büchern verarbeitet. »Einen Roman über das alte Ägypten haben Sie aber noch nicht geschrieben«, bemerkt Moderatorin Shelly Kupferberg. »Das werde ich auch kaum tun«, antwortet Hartmann sehr überzeugt und amüsiert damit seine Zuhörerinnen und Zuhörer, die auf den wenigen Stühlen vor der Museumskasse Platz genommen haben. »Warum nicht?«, will Kupferberg wissen. »Es ist zu weit weg«, meint Hartmann und erklärt: »Es muss mich etwas leiten.«

Örtlich und inhaltlich näher war für ihn eine skandalöse Liebesgeschichte des 19. Jahrhunderts zwischen der reichen Züricherin Lydia Welti-Escher und dem Maler Karl Stauffer, welche die Grundlage für seinen im Februar 2018 erschienenen Roman wurde. Lydia Welti-Escher war die Tochter des mächtigen Züricher Politikers und Wirtschaftsführers Alfred Escher. Sie wuchs in einem herrschaftlichen Anwesen, dem Belvoir, auf. Mit sechs Jahren verlor sie ihre Mutter, unterstützte den Vater früh bei Schreibarbeiten und übernahm die Rolle der Gastgeberin im Belvoir. Sie heiratete Friedrich Emil Welti, den Sohn des Bundesrates Emil Welti. Doch die intelligente, kunstbegeisterte Frau langweilte sich schnell in ihrer Ehe und traf eine für die damalige Zeit äußerst ungewöhnliche Entscheidung mit tödlichen Folgen.

Der Autor erzählt die Geschichte aus der Perspektive des einfachen Dienstmädchens Luise, die im Laufe der Handlung eine wichtige Gefährtin für Lydia wird. Durch ihre Rolle als Bedienstete ist sie oft zum Schweigen gezwungen, was sie zu einer stillen und feinfühligen Beobachterin macht. Die Aufregung der Fünfzehnjährigen, die sich zunächst in der gehobenen Gesellschaft sehr unwohl fühlt, ist durch seine detailierten Beschreibungen deutlich spürbar und zeigt Hartmanns großes Einfühlungsvermögen für die Figuren seiner Romane.

Durch den wackligen Mikrofonhalter lässt sich der erfahrene Leser nicht aus der Ruhe bringen. »Das ist das erste Mal, dass ein Mikrofon vor der Wucht meiner Sätze niedersinkt«, bemerkt er humorvoll. Beim Signieren seiner Bücher formuliert er persönliche Widmungen und zeigt viel Interesse an seinem Publikum. »Was machen Sie denn in Ihrem Leben, dass sie so gerne lesen?«, will er wissen und erzählt selbst kleine Anekdoten aus seinem Leben als Schriftsteller. Sein Enkel habe den Autor, der auch Kinder- und Jugendliteratur verfasst, gebeten, ein Buch über eine Zahnspange zu schreiben. Da sei ihm erst einmal gar nichts zu eingefallen, gesteht er lachend. Dass seine Ideen jedoch nie versiegen, hat er an diesem Abend bereits bewiesen.

Beitragsbild: Ein inspirierendes Buch: Lukas Hartmanns Roman »Ein Bild von Lydia«. © Karla Aslan


Die Veranstaltung: Ein Bild von Lydia, Moderation: Shelly Kupferberg, Ägyptisches Museum Leipzig, 17.3.2018, 20 Uhr

Das Buch: Lukas Hartmann: Ein Bild von Lydia. Diogenes, Zürich 2018, 368 Seiten, 24 Euro, E-Book 20,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Karla Aslan