Christian Günther, Roman Israel und Uwe Schimunek lasen Geschichten am morbiden Abend im Kriminalmuseum des Mittelalters.
Meine vorletzte Fahrt an diesem Abend führte mich zur Folterkammer Leipzigs. Durch die Eingangstür ins schäbige Treppenhaus schloss ich mich Besucherinnen an, die vor mir die Treppen zum Kriminalmuseum des Mittelalters in der ersten Etage erklommen. Man hatte Prioritäten gesetzt: Der kleine Raum war mit Lese- und Büchertisch ausgestattet, dafür gab es zu wenig Stühle. Unmut machte sich unter den Anwesenden breit, die überpünktlich kamen, aber trotzdem keinen Sitzplatz ergatterten. Sie gingen hinter dem Schraubstockbalken in Stellung, füllten sich auf bis zur Tür. Auf dem Fußboden zu sitzen, war auch eine Option. Ein schönes Erlebnis für alle Stehenden ereignete sich, als die zwei mit Beutel besetzten Stühle doch noch ihre Besitzer fanden. Die Kaffeegeldspende an die Gastgeber stimmte die Gäste bestimmt nicht gerade milde. Trotz des Vorschlags die Guillotine zu nutzen, um den »Massen« Herr zu werden, fand sich niemand, der die Enthauptungen durchführte.
Nachdem alle da waren, begrüßten die drei Autoren das Publikum. Vorher hatten sie sich in den VIP-Bereich verkrümelt. Auf welchen Folterinstrumenten sie dort entspannten, verschleierte ein Vorhang, denn offiziell gab es ja keine Stühle mehr. Der Ablauf sah vor, dass das Trio abwechselnd nach Buchseitensystem Geschichten vortrug: Schimunek, Günther, Israel – Pause – Israel, Günther, Schimunek.
Uwe Schimunek begann seine Erzählung »Solidar-System« am Lesetisch zwischen Guillotine und Galgenstrick. Sie ist im Buch »Leipzig – Visionen gestern und heute« enthalten. Die Story spielt in einem dystopischen Leipzig, in dem über 75-Jährige aufgrund der Verordnung zum »Solidarableben« zu Abschusszielen werden. Dafür bekommen sogenannte »Sniper« eine Prämie. Die Geschichte beleuchtet die Jagd aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der beteiligten Leute. Schimunek las eine Perspektive davon vor.

Danach präsentierte Christian Günther aus Buxtehude seine Geschichte »Schützenball«. Schauplatz ist ein kleines Dorf, in dem es etwas blutiger als normalerweise zugeht. Sie handelt von Jörn, der Zombies jagt, und Petra, die im Gastbetrieb schuftet und abhauen will, woran ihr tyrannischer Vater nicht unschuldig ist.

Roman Israel las eine Kurzversion seiner Story aus »Leipzig Morbid« vor. Ein in Geldnot geratener Kurzfilmemacher sucht eine Wohnung. Eine erschwingliche Hütte findet er in einer Künstlerkolonie. Die kann man nur über einen Wassergraben erreichen. Fährmann Karsten setzt den Regisseur über. Das Leben in der neuen Gemeinschaft entwickelt sich für ihn allerdings zum Alptraum. Günthers anschließende Aussage »Das war eklig!« spielte sicher auf den kamillenteeartigen Martini an, den Polanski in seinem Traum trank. Na ja, vielleicht waren es auch die eingelegten Körperteile, die in der Vitrine gut zur Geltung kamen – oder doch etwas ganz anderes?! Richtig pervers wird es erst, wenn man sich ausmalt, wieso der Ente – in der vollständigen Version enthalten – ein Bein abhanden gekommen sein könnte.

Die Pause bot Zeit, um die Bücher des Büchertisches anzuschauen, Autogramme zu holen und für Uwe Schimunek einen neuen Parkschein zu lösen, wie er sein Vorhaben zu Anfang schon erwähnte. Das erheiterte das Publikum ungemein und lockerte die Atmosphäre.
Die zweite Runde begann Israel mit der zweiten Hälfte seiner Geschichte, Günther las aus »Familie Bollmann richtet sich ein« von einer Familie, die versucht, ein normales Leben in einer zombieverseuchten Welt zu führen.
Uwe Schimunek trug »Versteckspiel« vor. Ein paranoider Killer, der im Supermarkt nebenan arbeitet, versucht den Liebhaber seiner Exfrau umzubringen.
Während des Lesens quietschte einige Male die Tür, fast genauso schlimm wie zu Hause. Ob Menschen kamen oder gingen, sah mein drittes Auge am Hinterkopf nicht; die Haare verdeckten es.
Alle trugen gut vor. Wobei Israel es schaffte, seine Stimme ein bisschen mehr zu verstellen und den Charakteren dadurch einen ganz eigenen, unheimlichen Charme zu verleihen. Der kleine, aber markante Versprecher in der ersten Geschichte, dass die Sterbehilfe mit einer Premiere belohnt wird anstatt mit einer Prämie, entzückte die Zuhörer. Meinem Eindruck nach gefiel die dritte Story am besten, denn dem Publikum hörte man die Enttäuschung an, als der Autor seine Geschichte wegen der Pause unterbrach. Mord und Totschlag gab es zwischen den Gästen und Autoren an diesem Abend also nicht.
Beitragsbild: Roman Israel. © Isabelle Goldammer
Die Veranstaltung: Christian Günther, Roman Israel und Uwe Schimunek lasen u. a. aus Leipzig Morbid und Leipzig – Visionen gestern und heute, Kriminalmuseum des Mittelalters, 22.3.2019, 18 Uhr
Die Bücher:
- Uwe Schimunek, Uwe Vöhl (Hg.): Leipzig Morbid – Eine Reise durch das dunkle Leipzig in 21 Geschichten. Lychatz Verlag, Leipzig 2017, 336 Seiten, 9,95 Euro
- Freundeskreis Science Fiction Leipzig e.V. (Hg.): Leipzig – Visionen gestern und heute: in Science Fiction und Städtebau-Phantasien. FKSFL, Leipzig 2015, 534 Seiten, 29,90 Euro
Die Rezensentin: Isabelle Goldammer
Danke Frau Goldammer- Kornelia Lychatz