Was Kakerlaken, Wanderratten und Menschen gemeinsam haben

Daniel Weißbrodt liest im HAL Atelierhaus aus seinem Buch »Kurzer Abriss der deutschen Geschichte 20222050« und stellt klar, wieso es dringend wieder Zeit für eine Utopie ist.

Schon eine halbe Stunde vor Beginn trudeln die Besucher*innen langsam im HAL Atelierhaus ein und nehmen Platz auf Hockern und einem Sofa. Die Lesung findet in einem kleinen, gemütlichen und etwas chaotischen Raum statt. Ein Kamin in der Ecke verströmt angenehme Wärme, während ein winziger Tisch vor einem großen Sonnenschirm auf den Autoren Daniel Weißbrodt wartet.

Der Ort der Lesung könnte passender nicht sein, denn er repräsentiert einen freien, alternativen Lebensstil – ganz im Sinne des Buchthemas, dem bedingungslosen Grundeinkommen. Ein umstrittenes Feld, das polarisiert wie kaum ein anderes. Als Weißbrodt hinter seinem Tischchen Platz nimmt, ist der kleine Raum bis auf den letzten Platz gefüllt, worüber er sich sichtbar freut.

Daniel Weißbrodts Bücher warten auf neue Besitzer. © Zarah Sorger

Das Buch mit dem etwas umständlichen Namen »Kurzer Abriss der deutschen Geschichte 2022– 2050. Wie das bedingungslose Grundeinkommen unser Leben und unsere Gesellschaft verändert hat« ist ein utopischer Roman, geschrieben wie eine geschichtliche Abhandlung und gespickt mit fiktiven Fußnoten aus der Zukunft sowie Interviews und Zitaten. Politiker und Parteien, die es (noch) nicht gibt, gestalten das politische Geschehen. Dabei bleibt das Buch unterhaltsam und überzeugt mit einem feinen Humor. So heißt die rechtspopulistische Partei in seinem Roman »Union nationaler Freiheit und Gerechtigkeit« – kurz: »UNFUG«. In Weißbrodts Utopie wird im Jahr 2032 das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland eingeführt – interessanterweise von der CDU. Der Autor erläutert, dass er das sonst sehr theoretische Thema möglichst spannend darstellen und dennoch ein konkretes Bild entwerfen wollte. Sein Buch, welches u.a. als »Science-Fiction« eingestuft wurde, sieht er eher als eine »Verlängerung der Gegenwart in die Zukunft«. Ständig würden Dystopien geschrieben, Utopien allerdings gebe es kaum noch. Sein Roman sei daher ein Versuch, das Gleichgewicht zwischen Dystopien und Utopien wiederherzustellen. Jedoch mit einer Besonderheit: Im Gegensatz zu den meisten anderen utopischen Romanen käme sein Werk ohne den »Keim der Diktatur« aus. Ein schöner Gedanke.

Ein angenehmer Vorleser. © Zarah Sorger

Etwa 30 Minuten liest Weißbrodt aus seinem Roman und gibt dabei einen guten Überblick über den Inhalt, ohne das Publikum mit abrupten Sprüngen zu verwirren. In der anschließenden Diskussion geht er ruhig und souverän auf Einwände aus dem Publikum ein und findet stets die richtigen Argumente. Es entsteht eine entspannte Gesprächsatmosphäre und selbst anfänglich scheue Zuhörer*innen beteiligen sich. Auf die Sorge, dass das bedingungslose Grundeinkommen die Menschen überfordern könne, erwidert Weißbrodt mit einem Lächeln: »Der Mensch ist nach der Kakerlake und der Wanderratte das anpassungsfähigste Lebewesen. Sogar mit dem Grundeinkommen könnte er sich sicher irgendwie abfinden.« Weißbrodt betont allerdings auch, dass er nicht den »Stein der Weisen« gefunden habe und sein Text eher ein »Diskussionsangebot« darstelle. Ein Angebot, das zumindest an diesem Abend ausgiebig genutzt wird und das Publikum mit anregenden neuen Ideen nach Hause gehen lässt. Ob Weißbrodts Utopie das Potential zur Wirklichkeit besitzt, bleibt offen. Und dennoch entsteht ein leichtes, hoffnungsvolles Gefühl – nicht gerade wenig in einer Zeit der Dystopien.

Die Deutsche Nationalbibliothek ordnete den Roman übrigens unter »Prognose« ein – das macht Mut.

Beitragsbild: Daniel Weißbrodt bei der Lesung im HAL Atelierhaus. © Zarah Sorger


Die Veranstaltung: Daniel Weißbrodt liest aus »Kurzer Abriss der deutschen Geschichte 2022– 2050. Wie das bedingungslose Grundeinkommen unser Leben und unsere Gesellschaft verändert hat. «, HAL Atelierhaus, 23.3.2019, 20 Uhr

Das Buch: Daniel Weißbrodt: Kurzer Abriss der deutschen Geschichte 2022–2050. Wie das bedingungslose Grundeinkommen unser Leben und unsere Gesellschaft verändert hat. Engelsdorfer Verlag, 2019, 309 Seiten, 18,00 Euro


Die Rezensentin: Zarah Sorger

2 Gedanken zu „Was Kakerlaken, Wanderratten und Menschen gemeinsam haben

  1. Liebe Zarah Sorger, mir erschließt sich der Zusammenhang zwischen der Überschrift über den Artikel und das Buch nicht…LG Rai

  2. Mich würde interessieren, ob Daniel Weißbrodt das Buch auch heute noch so schreiben würde, wo immer deutlicher zu erkennen ist, dass das Anthropozän in absehbarer Zeit zu Ende geht, die zivilisatorische Infrastruktur weltweit und immer schneller zerstört wird. Für das “rettende Grundeinkommen” wird es auch in Deutschland bald keine ökonomische Grundlage mehr geben. Die vorhandenen Vermögen werden immer härter festgehalten. Die Herrschenden und die Vermögenden werden in letzter Minute (vor dem gesellschaftlichen Zusammenbruch) das Grundeinkommen freigeben – ja und nein, denn dann wird es nämlich zu spät sein!

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