Von Sommerfrauen mit tragischer Vergangenheit und einem berühmten Ersatzvater mit rosanem Hut

Am ersten Oktober fand die Buchpremiere von Chris Kraus‘ neuestem Werk  »Sommerfrauen, Winterfrauen« im Pfefferberg-Theater in Berlin statt.

 

Als Chris Kraus den Saal des Pfefferberg-Theaters in Berlin betrat, das mit seinen samtig-roten, eng aneinander gereihten Sitzen eher an ein Kino als an ein Theater erinnert, erkennt ihn sein Publikum sofort und empfängt ihn mit Applaus.

Obwohl Chris Kraus als Regisseur durch die Filme »Vier Minuten« und »Poll« schon einige Bekanntheit erlangt hat, ist an diesem Montagabend der Saal nicht  ausgebucht und ich konnte einen Platz in den vorderen Reihen ergattern.

Doch zuerst betrat nicht Kraus selbst die Bühne, sondern die Schauspielerin Paula Beer, die als 13-jährige durch Kraus´ Film »Poll« Bekanntheit erlangte und als Einstieg mit geschulter Stimme den Prolog des Buches »Sommerfrauen,Winterfrauen« vorliest.

©Diogenes Verlag

Bereits hier lässt sich der sarkastisch-witzige Schreibstil von Kraus erkennen, der mich an vielen Stellen zum Lächeln gebracht hat. Der Autor erzählt von dem Filmstudenten Jonas, der vom exzentrischen Regisseur und Professor Lila von Dornbusch nach New York geschickt wird, um einen Film über Sex zu drehen. Die zunächst witzig und heiter wirkende Geschichte, die Einblicke in die Künstlerszene des New Yorks der neunziger Jahre zeigt, hat jedoch neben der komischen auch eine tragische Seite.

Denn Jonas trifft auf Tante Paula, eine lebensfrohe Sommerfrau, die als Kindermädchen von Jonas Vater nur knapp den Holocaust überlebte. Es werden die Abgründe in der eigenen Familiengeschichte immer deutlicher. Kraus verarbeitet auch in diesem Roman, wie schon in seinem vorherigen Roman »Das kalte Blut« die SS-Vergangenheit seines eigenen Großvaters und spricht offen auf der Bühne darüber, wie es ist, zu einer »Täterfamilie«  zu gehören. Das Buch zeigt auch weitere Parallelen zu Kraus´ Leben auf, obwohl dieser beteuert, dass »Sommerfrauen, Winterfrauen« ein reines »Kunstprodukt« sei.

So erinnert bereits der Name Lila von Dornbusch stark an den Mentor und Lehrer von Chris Kraus: Rosa von Praunheim, der ebenfalls ein bekannter deutscher Regisseur ist. Mein Verdacht bestätigt sich, als die Lesung durch einen Ausschnitt der Filmdokumentation  »Rosakinder« unterbrochen wird, die anlässlich des siebzigsten Geburtstags Rosa von Praunheims von fünf seiner Schüler gedreht wurde. Der Film zeigt die enge Verbundenheit der beiden Regisseure, indem Chris Kraus von Praunheim sogar als seinen »Ersatzvater« bezeichnet. Die Dokumentation thematisiert außerdem die Suche nach Praunheims leiblichen Vater, der wie Chris Kraus Großvater während des zweiten Weltkrieges in Riga stationiert war und dessen Vermutung, Kraus´ Großvater könnte Praunheims leiblicher Vater sein.

Maurice Haas/ ©Diogenes Verlag

Nach dem Ausschnitt der  Dokumentation, die sehr private Einblicke in das Leben der beiden Regisseure zeigt und mich sehr berührt, widmet sich Kraus wieder seinem Roman. In den vorgelesenen Ausschnitten des Buches erfährt man auch, welche Frauen er als »Winterfrauen« und welche er als »Sommerfrauen« bezeichnet. So sind Sommerfrauen lebensfrohe Frauen, die ausschließlich wohlhabende Männer an ihrer Seite haben. Winterfrauen hingegen sind eher zurückhaltend und ihnen ist absolutes Vertrauen enorm wichtig.

Als die Lesung endet, spricht mich ein älterer Herr mit rosa glitzerndem Hut an und fragt mich, ob ich und meine Begleitung denn freiwillig hier seien. Ich bejahe und erzähle ihm, dass ich die Lesung im Rahmen meines Studiums an der Universität Leipzig besuche. Er nickt zufrieden. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich in ihm Rosa von Praunheim.

 

Beitragsbild: Chris Kraus (links) mit Moderatorin Shelly Kupferberg, Schauspielerin Paula Beer (rechts)


Die Veranstaltung: Buchpremiere von Chris Kraus ´»Sommerfrauen, Winterfrauen«, Moderatorin: Shelly Kupferberg, Pfefferberg-Theater Berlin, 01.10.2018, 20 Uhr


Das Buch: Chris Kraus: Sommerfrauen, Winterfrauen. Diogenes Verlag, Berlin 2018, 416 Seiten, 24 Euro, E-book 20,99 Euro

 

 

Rezensentin: Sophia Jaworowski