Von Puppenköpfen, Taschenfeminismus und Fickadellen

Dass Feminismus alles andere als hysterischer Männerhass ist, ist zum Glück nichts Neues. Beim Fem Slam im Beyerhaus veranschaulichten die sechs Poetinnen die Vielschichtigkeit dieses Themas – mal humorvoll-ironisch, mal direkt-radikal.

»Ich koche gern, aber kann trotzdem schlechte Sexwitze machen: ›Wie heißt ein sexsüchtiges Fleischbällchen? – Fickadelle‹, hehe. Ich kann rosa Prosecco trinken und ziehe trotzdem die Hälfte der Männer hier beim Armdrücken ab – und das ist voll okay.« Julia Szymik – eine große, junge Frau mit hellblondem Bob und breitem Grinsen. Von hellem Licht angestrahlt steht sie auf der kleinen Bühne im großen Saal des Beyerhaus, in der Hand ein paar zerknitterte Zettel mit ihren Zeilen über den Wahnsinn strenger Geschlechterrollen. In ironischem Tonfall liest sie: »Eine Frau muss weich sein, mit kurvigen Hüften und langen Beinen, um dem Gatten zu gefallen. Darf nicht zu viel trinken, das schickt sich nicht, und muss über seine schlechten Witze lachen.« Sie schaut kurz auf, grinst ins Publikum und fährt mit erheiterter Stimme fort: »Heute hat sich was geändert. Heute holt mich mein 1,90 großer, durchtrainierter Mitbewohner, damit ich ihn vor einer Spinne rette.« Mit viel Humor erklärt sie, dass sie als Frau sowohl Männern zugeschriebene Eigenschaften und Interessen haben, und gleichzeitig auch manche Frauen-Klischees erfüllen kann. Und dass das absolut in Ordnung sei: »Wieso muss man alles labeln?«

Julia Szymik ist die dritte Poetin von insgesamt sechs Frauen, die heute Abend beim vom Topical Island Slam ins Leben gerufenen Fem Slam im Beyerhaus auf der Bühne stehen. Kurz nach zwanzig Uhr wird der große Saal, der durch seine schummrige Beleuchtung, die langen Tischreihen und die beiden riesigen Kronleuchter ein wenig an den Festsaal einer mittelalterlichen Burg erinnert, noch von einer Kombination aus kraftvollem Soul und ein entspanntem Jazz erfüllt. Die Plätze an den Tischen sind zu gut zwei Dritteln besetzt. Vor allem junge, studentisch-anmutende Leute sind es, die in Gespräche vertieft sind, an ihrem Bier oder Wein nippen oder sich eine Zigarette anzünden. Ungefähr die Hälfte des Publikums ist männlich – offensichtlich ist Leuten hier bewusst, dass Feminismus keinesfalls nur Frauen betrifft.

Die Moderatorin des Abends, Josephine von Blueten Staub, betritt die Bühne. Sie lächelt in die Runde. »Ja Moin, herzlich willkommen zum Topical Island Poetry Slam!« Nachdem sie kurz die Regeln eines Poetry Slams erläutert und die Applausskala mit den Gästen getestet hat – von sanftem, wohlmeinendem Applaus bis hin zu wildem Klatschen, Johlen und Fußgetrommel – geht es los.

Kristin am Flügel. © Paul Köllner

Statt Lyrik kommt allerdings erstmal Musik: Die Hallenser Künstlerin Kristin setzt sich an den Flügel rechts von der Bühne und beginnt zu spielen. Ihre kraftvolle Stimme erfüllt den ansonsten mucksmäuschenstillen Saal. Beleuchtet vom warmen Licht einer Retro-Wohnzimmerlampe singt sie zwei Songs, einer von ihr selbst, einer von Michael Prins – changierend von melancholisch-emotional bis stark und optimistisch.

Den Anfang machen die beiden Poetinnen RedeVux aus Berlin und Hannah Geheimsein aus Halle. RedeVux‘s tiefe, raue Stimme erzählt zunächst von unangenehmen Blicken auf ihrer Haut an einem heißen Sommertag und richtet sich dann an »einen kleinen Menschen«, der »das wichtigste« in ihrem Leben sei. »›Rosa‹, sagst du, ›ist eine Farbe für Mädchen.‹ Schade, denke ich mir. Wie soll ich dir erklären, dass es irgendwann heißt eine Frau ist entweder hässlich oder sexy?« Sie spricht von der Macht alltäglicher Worte, die oft unterschätzt würde und endet mit einem optimistischen Blick in die Zukunft: »Heute ist normal, was vor zwanzig Jahren undenkbar war. Vielleicht wirst du mal sagen ›Cat calling? Das war einmal.‹«

Einen starken Kontrast zu RedeVux’s sanftem, nachdenklichem Vortrag bildet Hannah Geheimsein. Sie schildert eine Vergewaltigung: Dunkle Gassen, kräftige Hände, Wehrlosigkeit, Schreien – »… um mich nackt und zerfickt auf der Straße wiederzufinden.« Die harten Wort sorgen für Gänsehaut und ein flaues Gefühl im Bauch. Dann spricht sie von übergriffigen Nachrichten auf Dating-Apps wie Tinder – »Dickpics machen das Leben nicht sonderlich bunter, sondern sagen vielmehr: Hier kleines Blondie, schau mal mein Lörres, den möchte ich dir gerne überall reinhämmern, egal ob du es möchtest oder nicht« – und von der widersprüchlichen Einstellung mancher Männer gegenüber der weiblichen Sexualität: Im Grunde würden diese Jungfrauen mit sexueller Reife und Erfahrung wollen, ärgerten sich jedoch wenn sie bei einem One Night Stand abgewiesen würden. Das schlimmste seien jedoch Frauen, die »mit dem Finger auf andere zeigen und sie ›Schlampe‹nennen«. Der tosende Applaus des Publikums entscheidet: Hannah Geheimsein wird im Finale einen zweiten Text lesen.

Hannah Geheimsein. © Paul Köllner

Nach dem zunächst bitter-sarkastisch und dann erfrischend-amüsanten Redebeitrag von Julia Szymik über unsinnige Geschlechterrollen folgt die vierte Poetin: Bonny Lycen aus Leipzig. Mit der Geschichte von Anna-Sophia und Ole veranschaulicht sie, wie drastisch die einbetonierten Normen, Werte und Rollenbilder von Männer und Frauen auf die Schicksale zweier Menschen einwirken können. Die Lebensgeschichten der beiden sind eng miteinander verflochten, vom Kindergarten über die Schulzeit bis ins Arbeitsleben. Beide werden Opfer einer sexistischen Gesellschaft, die sowohl auf die unangepasste Anna-Sophia als auch auf den willensschwachen Ole ihr ganzes Leben hindurch einen enormen Druck ausübt. Schließlich zerbricht Ole daran und die Lage eskaliert, als er versucht, durch die Vergewaltigung der ihm überlegenen Anna-Sophia physische Macht über sie zu erlangen. Die Geschichte weckt Wut auf den ohnmächtigen Ole und gleichzeitig Mitleid mit den beiden tragischen HeldInnen, macht betroffen und nachdenklich zugleich.

Obwohl die beiden Poetinnen Julia Szymik und Bonny Lycen völlig unterschiedliche Texte vorgetragen haben, überzeugten beide das Publikum. Die Moderatorin Josephine von Blueten Staub ist etwas ratlos, bei welcher von beiden der Applaus kräftiger und das Jubeln lauter war – »Mein Applausmessgerät im Kopf ist wohl kaputt«– und qualifiziert letztendlich beide für das Finale.

Die fünfte Poetin ist die Leipzigerin Paulette Breuhahn, die für ihren Text Geschlechterrollen aus einer männlichen Perspektive interpretiert. Sie erzählt von ihrem vierjährigen Cousin, der eine Perlenkette bastelt, die er zusammen mit Ringen und einem Kleid zu einer Hochzeit tragen möchte. Noch sei er zu jung, aber bald werde er verstehen, wieso ihn auf der Hochzeit verständnislose, ablehnende Blick treffen werden. Selbst im Kindergarten heiße es »›Ketten sind doch nur was für Mädchen.‹ Traurig, dass Geschlechterrollen schon wieder in die nächste Generation weitergegeben werden.«

Paulette Breuhahn. © Paul Köllner

Die letzte Poetin der ersten Runde ist Rahel, ebenfalls aus Leipzig. In ihrem Text wird es um psychische und physische Gewalt gehen, erklärt sie vorab. Mit weicher, sanfter Stimme erzählt sie von einer Frau, die in ihrer unglücklichen Ehe gefangen ist: »Er wird mich nie respektieren. Ich bin nicht seine Frau, sondern sein Besitz.« Der einzige Grund für sie, die  Situation zu ertragen, sei ihre Tochter, für die sie kämpfe. Als ihr Ehemann nachhause kommt und ein Brandloch im Teppich bemerkt, das sie verursacht hat, schlägt er sie. »Ich wehre mich nicht, ich schluchze in mich hinein, damit meine Tochter es nicht hört.« Am nächsten Morgen versucht sie, mit einer dicken Schicht Make-up ihre Verletzungen im Gesicht zu verdecken.Das Jubeln und Klatschen des Publikums entscheidet: Paulette Breuhahn wird im Finale einen weiteren Text vortragen.

Nach einer kleinen Pause und zwei weiteren melancholisch-schönen Liedern von Kristin am Flügel betritt die Moderatorin Josephine von Blueten Staub erneut die Bühne. Ihr sei es wichtig, eine Sache zu erklären, beginnt sie. Am heutigen Abend gehe es um Feminismus und Gleichberechtigung – also wieso nicht auch Männer als Poeten einladen und für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis auf der Bühne sorgen? Sie sei seit fünf Jahren als Poetin auf Poetry Slams unterwegs. Gerade in ihrer Anfangszeit sei das Geschlechterverhältnis extrem ungleich gewesen, meist nur eine Frau unter etlichen Männern. Und diese Poetin sei stets mit abwertend-oberflächlichen Worten wie »die wunderschöne, bezaubernde XY«angekündigt worden. Das sei nicht leicht. Deshalb wünschte sie sich für diese Veranstaltung einen »Safe Space«, den sie mit dem rein weiblichen Line-up erschaffen wollte. Auch in der Facebookveranstaltung für den Fem Slam wurde das Thema Sexismus in Poetry Slam Kreisen aufgegriffen: »›Wenn du auf der Bühne so einen kurzen Rock trägst, brauchst Du Dich nicht wundern, dass sich keiner auf deinen Text konzentriert.‹ Dumme Sprüche, fragwürdige Komplimente, mansplainende Ignoranten, die das Wort ›Mädchenlyrik‹als abwertende Bezeichnung für gefühlvolle Poesie benutzen.« Unter diesem Aspekt erscheint die Konzeption des Female-only-Line-ups absolut sinnvoll.

Als erste Finalistin beginnt Paulette Breuhahn. Die Texte, die ihm Finale vorgetragen werden, müssen sich nicht zwangsläufig mit feministischen Themen auseinandersetzen. Paulettes Text handelt von einer Frau, die ständig auf der ganzen Welt unterwegs ist und umherreist, aber doch immer wieder zurückfindet, zu einem Menschen, dem sie in ihren »Rückkehrnächten«bei einem Glas Wein alles Erlebte erzählt und der für sie Heimat ist.

Bonny Lycen. © Paul Köllner

Nach diesem Text betritt Bonny Lycen die Bühne. Ihr Text heiße »Taschenfeminismus«, erklärt sie. Sie beschreibt eine Situation auf einer Party, auf der das einzige andere Mädchen unter den ganzen männlichen Gästen eine flammende Rede über Feminismus hält. Die Reaktion der anwesenden Männer: »Unverständnis, Bier, Schenkelklopfen«. Die Protagonistin des Textes möchte das Mädchen unterstützen, aufstehen und ihre Meinung sagen – ist dann aber doch zu verunsichert und bleibt stumm sitzen. »Ich habe meinen Idealismus in der Tasche versteckt und hole ihn nur manchmal raus« – wie zum Beispiel bei Freundinnen oder wenn sie eine Person beeindrucken möchte, sagt sie. »Manchmal will ich eher gemocht werden, anstatt die Welt zu verbessern.« Die Passage auf der Party vom Anfang wiederholt sich, wieder »Unverständnis, Bier, Schenkelklopfen« – doch diesmal steht die Protagonistin auf.

Julia Szymiks Vortrag ist genauso erfrischend-sympathisch wie ihr vorheriger. »Ich bin nicht gut im Leben«, sagt sie selbstironisch und beschreibt nervige Alltagsszenen wie Straßenbahnfahren, in der ihr aus Kopfhörern Tim Bendzko oder aggressiver Rap entgegendröhnt. »Erst Schlagen, dann Reden. Erst Druck, dann Freiheit.« Ihr begegnen Max-Giesinger-Konzertbesucherinnen, die »nach schalem Becks und Bibis Beauty Palace«riechen. Ihr Text handelt auch vom Erwachsenwerden und den Widrigkeiten, die dieser Prozess mit sich bringt. Am Ende schließt sie Frieden mit sich und ihrem Alltag: »Das ist mein Leben, das ist ein bisschen okay.«

Die letzte Poetin des Abends ist Hannah Geheimsein. Wie zuvor trägt sie einen radikal-ehrlichen Text vor, der »In meine Puppenkopf die Freiraumdikatur« heißt. Sie beschreibt eine Szene, in der sie auf einer Bank sitzt und die Stadt bei Sonnenuntergang überblickt. Sie knutscht mit einem Kerl, den sie weder möge noch küssen wolle – aber er sei eben gerade da. Sie überlegt, ihn mit nachhause zu nehmen und wirft dann die Fragen auf: Würde sie ihn mit nachhause nehmen? Oder nicht eher er sie? Was wäre, wenn nicht Männer Frauen ficken, sondern Frauen Männer ficken. Wer hat die Macht? In ihr bricht ein innerer Konflikt auf: »Der Diktator in unseren Puppen-Frauenköpfen, der uns sagt: Nein, geh nicht mit, das ist gesellschaftlich nicht anerkannt.« Letztendlich klärt sich die Frage, ob sie mit ihm schlafen möchte, von selbst: Sie greift ihm in die Hose und stellt fest: »„…der ist mir zu klein und da denk‘ ich mir, da lasse ich es gleich ganz sein.“.«

Alle vier Finalistinnen erhalten einen tosenden Applaus. Besonders bei Julia Szymik und Hannah Geheimsein jubeln die Gäste, trommeln auf den Boden und klatschen besonders laut. Welche von den beiden wird nun die Gewinnerin des heutigen Fem Slams? »Lasst doch einfach beide gewinnen!«ruft eine Stimme aus dem Publikum. Und das wird kurzerhand gemacht: Julia Szymik und Hannah Geheimsein umarmen sich auf der Bühne, mit einer Flasche Sekt und einer Flasche Wein in den Händen.

Moderatorin Josephine von Blueten Staub (links), mit den Finalistinnen Hannah Geheimsein, Julia Szymik, Bonny Lycen und Paulette Breuhahn (von links nach rechts). © Paul Köllner

Der Abend im Beyerhaus war emotionsgeladen: Die Texte der sechs Poetinnen waren mal frech und humorvoll, mal brutal und ehrlich. Sie brachten die Gäste mal zum Lachen und ließen sie dann wieder betroffen verstummen. Trotz dieser Vielfalt von Themen, den unterschiedlichen Erzählweisen und Vortragsarten – alle Texte sorgen für nachdenkliches Stirnrunzeln und angestrengtes Hirnrattern. Es gelang den Poetinnen auf kurzweilige Art zu zeigen, dass Feminismus keinesfalls von einer einzigen Perspektive aus zu betrachten ist und dass Sexismus, Diskriminierung, Ungleichbehandlung und festgefahrene Geschlechterrollen sowohl Frauen als auch Männer in verschiedensten Alltagssituationen, in allen Altersstufen und in allen Bereichen des Lebens betreffen können. Ein Gast brachte es auf den Punkt: »Danke für den schönen Abend. Die Welt braucht eure Stimmen!«

 

Beitragsbild: Die Poetin Julia Szymik macht sich über unsinnige Geschlechterrollen lustig. © Paul Köllner


Die VeranstaltungSechs Poetinnen tragen beim Fem Slam des Topical Island Poetry Slams Texte zu den Themen Feminismus, Gleichstellung und Emanzipation vor, Moderation: Josephine von Blueten Staub, Beyerhaus, 25.09.2018, 20.00 Uhr


 

 

Die Rezensentin: Lea Schröder