Esther Beckers Debütroman »Wie die Gorillas« offenbart, wie Frauen von Kindesbeinen an noch immer unter dem Patriarchat leiden.
»Wir leben im Jahr 2021. Da braucht man doch keinen Feminismus mehr.« Was auf den ersten Blick so scheinen mag, ist dennoch leider nicht wahr. Diese Erfahrung müssen auch Svenja, Olga und die namenlose Protagonistin in »Wie die Gorillas« machen. Gemeinsam durchleben sie ihre Kindheit, Pubertät und Studienzeit und lernen, was es bedeutet, in dieser Gesellschaft eine Frau zu sein.

Obwohl der Roman aus nur fünf knappen Kapiteln besteht, birgt er ein Sammelsurium an prägenden Erfahrungen, welche vielen Frauen aus ihrem eigenen Leben bekannt sein dürften. Die Atmosphäre ist kalt, der Humor trocken und die Lebensumstände der Hauptfiguren durchaus nicht einfach. Während Olga gegen ihre strengen Eltern ankämpfen muss, um Medizin studieren zu dürfen, läuft Svenja oberkörperfrei über die Theaterbühne, in der Hoffnung sich in der Schauspielbranche zu etablieren. Die Protagonistin hingegen wächst in einer eher lieblosen Familie auf, die nicht fähig ist, über Gefühle zu sprechen. Esther Becker weiß dabei, die Geschichte der drei Frauen in einer klaren und dennoch dichterischen Sprache zu erzählen, die, bei Beckers dramaturgischem Hintergrund nicht verwunderlich, an moderne Theaterstücke erinnert.
Die drei Mädchen scheinen mit fortschreitender Entwicklung, die Protagonistin allen voran, innerlich zu zerbrechen. Leere Hüllen, zerrissen unter dem Druck, nicht zu auffallend, aber auch nicht zu unauffällig sein zu dürfen. Für andere schön sein zu müssen, aber bloß nicht zu sexy. Zwei an Poetry Slam erinnernde Episoden treffen den Nagel auf den Kopf: Angewidert von den eigenen Töchtern macht ein Elternteil klar: Frauen seien selbst für die Degradierung zum Sexobjekt verantwortlich. Aber gleichzeitig – und im Widerspruch zu Ersterem: Der Wert einer Frau ergebe sich aus ihrem Erfolg, einen angesehenen Mann mit ihrem Körper für sich zu gewinnen. Svenja, Olga und die Protagonistin wachsen durch diese absurden Erwartungen, die niemals erfüllt werden können, zu psychisch angeschlagenen Frauen heran.
Trotz der niederschmetternden Bestandsaufnahme unserer weiterhin patriarchalen Welt birgt »Wie die Gorillas« auch Trost und Hoffnung. Der Roman öffnet uns die Augen, wie viel wir als Gesellschaft noch vor uns haben, bis wir eine tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen können. Je häufiger diese Missstände durch Romane wie »Wie die Gorillas« aufgedeckt werden, desto näher kommen wir einer Gesellschaft, die jeden Menschen jeglichen Geschlechts mit offenen Armen empfängt.
Beitragsbild: © Carmen Jenke
Das Buch: Esther Becker: Wie die Gorillas. Berlin: Verbrecher Verlag 2021. 160 S., 19,00 €.