Von Mottenplagen und Saunagruppen-Schlägereien

Franziska Wilhelm las am 2.10.2018 um 20 Uhr im Kupfersaal in Leipzig aus ihrem neuen Buch »Die schönsten Abgründe des Alltags. Slam- und Survival-Texte«

Als ich im Kupfersaal ankomme, sind die Reihen mit Zuschauern schon gut gefüllt und zwar mit Besuchern aller Altersklassen. Das hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet – bei Slam- und Survival-Texten! Aber halt, Survival-Texte? Vorsichtig werfe ich einen Blick in die Runde: nein, gut, keine North Face oder Jack Wolfskin Jacken und andere Funktionsklamotten. Nun ja, ein paar wenige sehe ich schon, aber zumindest habe ich die Gewissheit, dass ich nicht mitten in einem Survival-Vorbereitungscamp für die extra harten Abenteurer gelandet bin. Mit Slam-Texten kann ich ja noch etwas anfangen, aber Survival? Die große Abenteurerin bin ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Ich habe weder vor, irgendeinen Berg zu besteigen, die Wüste zu durchqueren noch die Welt zu umsegeln. Also was wird das hier eigentlich?

Ich werde jedoch in meinem Gedankenfluss abrupt unterbrochen, denn es wird ganz still, als ein bärtiger Mann die Bühne betritt und sich setzt. Also irgendwie habe ich mir diese Franziska etwas anders vorgestellt. Damit scheine ich nicht allein zu sein – überall sind große Fragezeichen in den Gesichtern zu entdecken.

Er, der sich als die »bärtige Franziska Wilhelm»ankündigt, ist aber eigentlich ihr Co.-Moderator Claudius Nießen. Beide werden uns durch den Abend begleiten.

Wilhelm betritt die Bühne und beginnt sogleich damit, ihre ersten Geschichten vorzulesen, die kleine Ausflüge in das ganz große Abenteuer sind – nämlich das Leben. Und dies ist nun einmal viel anstrengender als irgendein Gebirgsausflug. Das Leben hat man 70 Jahre und mehr an der Backe, man muss das Beste daraus machen und eigentlich sollte man dafür einen Orden verliehen bekommen, so sieht das jedenfalls die Autorin.

Insgesamt sechs Geschichten gibt sie zum Besten. Alle sind mehr oder weniger vom alltäglichen Leben von ihr oder ihren Freunden inspiriert, bzw. wurden dahingehend verfeinert – der Alltag kann urkomisch sein. Dass sie ansonsten in der Lesebühne Schkeuditzer Kreuz ihre Texte dem Publikum vorträgt, merkt man. Sie liest mit viel Ausdruck und Freude und erntet einige Lacher.

In ihren Texten geht es u.a. um Mottenplagen und wie man sie beseitigt, nämlich: »Man muss alles wegschmeißen, alles wegschmeißen, alles muss weg!«– auch die Küchenmöbel oder generell alles, was sich im mottenverseuchten Terrain befindet, alles.

Sie berichtet von ihrem erbitterten Kampf mit dem Sellerie – ein für die Autorin wirklich furchtbares Gemüse – und wie sie lernte, ihn zu respektieren.

In einer weiteren und diesmal fiktiven Geschichte wird Nießen mit eingespannt – er darf den Leipziger Oberbürgermeister lesen, der Wilhelm dazu »überredet«, Raumfahrerin zu werden. Außerdem erfahren wir, wie man sich am besten gegen eine Schlägergruppe von Sauna-Gängern zur Wehr setzt und wie einst die Bandenkriege zwischen den beiden Grundschulen ihres Heimatortes endlich ein Ende fanden. Die Stimmung im Publikum und auf der Bühne ist ausgelassen. Wilhelm und Nießen sind sehr darauf bedacht, uns, soweit es geht, mit einzubinden. So stimmen wir in einer kurzen Pause an einer Tafel ab, welche zwei Texte in der zweiten Hälfte gelesen werden.

© Zwiebook Verlag

Auch kulinarisch fehlt es uns an nichts. Auf einem kleinen Tisch neben der Bühne stehen die fünf Lebensmittel, die Wilhelm wirklich abscheulich findet – das sind Insekten-Müsliriegel, Brennnesseln, Kieselsteine (also die aus Aprikose, die es immer bei Oma gab), Lakritze mit Salz und Milch. Okay, den Sellerie habe sie wohl doch vergessen, gibt sie zu.

Die Lebensmittel, mit einer Nummer versehen, werden ausgewürfelt und so springen nicht nur die beiden auf der Bühne über ihren Schatten und kosten von den ausgewählten Spezialitäten, sondern das Publikum darf mitmachen. Es werden also Lakritz-Tüten und Kieselstein-Gläser zum Probieren herumgereicht, die ganz Mutigen versuchen sich sogar an den Insekten. Und so bestreitet jeder an diesem Abend ein ganz kleines Abenteuer und sei es nur der Biss in die Salz-Lakritze.

 

 

Beitragsbild: Franziska Wilhelm und Co-Moderator Cornelius Nießen auf der Bühne im Kupfersaal. © Maxie Herzberg


Die Veranstaltung: Franziska Wilhelm und Cornelius Nießen lesen aus »Die schönsten Abgründe des Alltags«, Kupfersaal Leipzig, 2.10.2018, 20 Uhr


Das Buch: Franziska Wilhelm: Die schönsten Abgründe des Alltags. Zwiebook Verlag, Dresden, 2018, 166 Seiten, 10,00 Euro, E-Book, 10,00 Euro, überall im Buchhandel

 

 

 

Die Rezensentin:Maxie Herzberg