Gespräch mit Lamya Kaddor zu ihrem neuen Buch in der Alten Handelsbörse.
Vor der Treppe zum Lesesaal steht ein Aufpasser, der niemanden mehr hereinlässt. Es ist rappelvoll. Draußen auf der schneebedeckten Straße versammeln sich einige um den Lautsprecher, aus dem die Stimme der Moderatorin Lamya Kaddor begrüßt und sie vorstellt. Auch oben ist es voll, bis auf ein paar Stühle in der ersten Reihe, auf denen »Reserviert« steht. Ich darf auf einem davon Platz nehmen. Das Gespräch beginnt und Stille tritt ein.

Was Lamya Kaddor erzählt, ist oft lustig, wie zum Beispiel ihre Schilderungen der Syrienbesuche ihrer Kindheit, in ein Dorf, wo zwei Drittel der Einwohner ihre Verwandten sind und die Kleine ordentlich abküssen. Oder die Reaktion des Vaters, als die Kinder ihre selbstgewählten Ehepartner präsentieren: Als die erste Tochter einen Türkischstämmigen mitbringt, gibt es noch Streit. Bei dem Deutschstämmigen, den Lamya selbst heiraten will, Sprachlosigkeit. Als der Bruder seine Angebetete, eine Deutsch-Russin, ankündigt und die kleinlaute Frage des Vaters kommt: »Ist sie wenigstens hübsch?«, müssen alle im Saal laut lachen. Das Nesthäkchen, auf das die Eltern ihre Hoffnung setzen, doch noch einen arabischen Schwiegersohn zu bekommen, bringt einen syrischen Kurden ins Haus. So viele Araber, vor allem Syrer, gab es damals nämlich in Deutschland noch nicht! Somit sind bei Familientreffen alle Positionen des Syrischen Krieges um den Tisch versammelt, scherzt Lamya. Russland, die Türkei, die syrischen Araber, die Kurden.
Doch es gibt auch Momente, in denen alle betroffen schweigen. Etwa wenn sie von der ernsthaften Verletzung ihres Vaters berichtet, der es sich nicht nehmen ließ, trotz Krieg, immer wieder seine Olivenhaine in Syrien zu besuchen. Oder wenn sie, wie nebenbei, etwas von den Morddrohungen sagt, die sie 2016 erhielt und wie sie deswegen ihren Mann und ihre Kinder nicht mehr ins Buch einbeziehen wollte, um sie nicht in Gefahr zu bringen.

Die Bratwurst kommt zur Sprache, in die wohl jeder Muslim in Deutschland mal aus Versehen hineingebissen hat. Sie ist einer der Gründe, warum Lamya Kaddor als kleines Kind das Gefühl hatte, »anders« zu sein. Identität ist das Hauptthema des Gesprächs. Ob man eine einzige, eindeutige Identität haben muss, ob die Antwort ein Entweder-oder sein kann. Ob man dazugehört, wenn man eine Zugehörigkeit spürt, oder auf die Akzeptanz der anderen warten muss. Und ob Religion wirklich ein Hindernis darstellt, am Leben teilzunehmen, und das Jenseits wirklich stärker gewichtet werden muss als das Diesseits.
Das Gespräch und die kurze Lesung, die es mittendrin auch gab, waren hochinteressant und unterhaltsam zugleich. Das Buch ist sehr humorvoll geschrieben und fühlt sich mehr wie eine Autobiografie an. Es regt aber nicht nur zum Schmunzeln an, sondern auch zum Denken: Über Fragen wie Integration, die laut Lamya Kaddor keine Einbahnstraße sein kann, darüber, was Menschen zum Extremismus zieht und wie dem entgegengesteuert werden kann. »Die Sache mit der Bratwurst – Mein etwas anderes deutsches Leben« sollte jeder lesen, der sich für einwanderungspolitische Fragen interessiert oder sich einfach nur vorstellen möchte, wie das Leben auf der anderen Seite aussieht!
Beitragsbild: Lamya Kaddor beim Lesen. © Yasmin Al-Iriani
Die Veranstaltung: Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben, Lamya Kaddor, Kulturnächte von MDR und Leipziger Buchmesse, Alte Handelsbörse, 15.3.2018, 19 Uhr
Das Buch: Lamya Kaddor: Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben. Piper, München 2018, 250 Seiten, Hardcover 20 Euro, E-Book 17,99 Euro
Die Rezensentin: Yasmin Al-Iriani