Unromantisch wie eine Scheißlawine

Julya Rabinowich liest auf der Buchmesse aus ihrem neusten Jugendroman und lädt dazu ein, sie mit Fragen zu löchern.

Menschenleiber drängen durch die stickigen Gänge der Leipziger Buchmesse, Halle 2 mit den Jugend- und Fantasy-Büchern ist besonders gut gefüllt. Der Zeitplan am Lesetreff ist knapp und deshalb legt Julya Rabinowich, Schriftstellerin, Kolumnistin, Malerin und Dolmetscherin, ohne große Umschweife los. Nach kurzer Vorstellung warnt sie ihr jungblütiges Publikum noch schnell, sie sei Wienerin, und das höre man ihr auch an. Sie liest ruhig und ausdrucksstark über den allgemeine Grundtenor der Messe hinweg. Ihre warme Stimme lässt auch mich, durch den Messewahnsinn leicht gestresst, nach einiger Zeit in die Geschichte von Alice eintauchen.

Julya Rabinowich © Friederike Klose

Das 15-jährige Mädchen ist dem Kontrollwahn ihrer Eltern ausgesetzt, die selbst der Pedanterie des Großvaters unterliegen. Der Familienreichtum beruht auf einem dunklen Geheimnis. Mit dem Klassenneuling Niko entspinnt sich eine Romanze, die dem introvertierten Mädchen Mut gibt, sich von den Eltern zu lösen und eigene Wege zu gehen. Doch der traumhafte Beginn entpuppt sich schon bald als Illusion und Alice wird doch wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt. »Hinter Glas« ist ein Buch über Gewalt in Familien, über Weglaufen und »in nicht so gute Gesellschaft kommen«, über Selbstbefreiung und den Mut, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Auch ein fantastischer Anteil ist in die Geschichte eingestrickt, der allerdings am Ende nicht klar aufgelöst wird und zumindest bei mir etwas Verwirrung bezüglich der Sinnhaftigkeit ausgelöst hat. Dennoch ist das Buch empfehlenswert, da Rabinowich einfühlsam auf den Umgang mit Gewalt und der Befreiung daraus eingeht.

Mit kräftiger Stimme erobert Julya Rabinowich die Aufmerksamkeit der Chips und Kekse knabbernden Jugend und hält zumindest den größten Teil für eine kurze Weile vom Handybildschirm fern. Auch die Elterngeneration, die hier und da durch die weichen und leicht pickligen Gesichter blickt, lauscht mit abgeschweiftem Blick der ungeschönten und direkten Sprache, die durch Rabinowichs Vortragsstil noch deutlicher hervortritt als beim Lesen: »Scheißlawine. So unromantisch kann man eine Urgewalt nur beschreiben, wenn man die Schnauze voll von der Liebe hat.«

Die sympathische Wienerin liest knackige 15 Minuten und fordert danach auf, ihr Fragen zu stellen. »Sonst lese ich weiter, das ist eine Drohung«, sagt sie schmunzelnd und erntet leicht nervöses Lachen. Wie jetzt, wir sind dran? Doch es finden sich genügend junge Menschen, die die Autorin mit interessierten und kritischen Fragen löchern. Sie erzählt von der Idee zum Buch, dass es ihr wichtig gewesen sei, das Thema Gewalt für Jugendliche zugänglich zu machen. Es fiel ihr besonders schwer, die Bedeutung von Gewalt in Familien und von Mobbing zu zeigen. Warum sie Autorin werden wollte? »Ich habe als Jugendliche schon immer viel geschrieben, dann aber eine Pause gemacht und nur gemalt. Nach fast zehn Jahren begann ich wieder für einen Literaturwettbewerb, denn es gab 3.000 Euro zu gewinnen und ich dachte mir: Ich bin jung und brauche das Geld.« Wider Erwarten habe sie sogar den Hauptpreis gewonnen. Ob sie denke, es sei überhaupt noch notwendig, solche Bücher zu schreiben? Ganz klar: Ja. Rabinowich gibt ihren Lieblingsautor preis – Michail Bulgakow und sein Buch »Der Meister und Margarita« – und dass sie »schon mal einen ähnlichen Freund hatte wie diesen Niko, nur harmloser.« Sie versuche aber, nie konkrete Geschichten zu verarbeiten. Ihre langjährige Tätigkeit als Dolmetscherin in der Psychotherapie habe ihr viele Einblicke in Familien und Gewalt gegeben.

Die Teenies kommen aus dem Fragen gar nicht mehr heraus, die poppige aber bestimmte Art der Wienerin lässt anfängliche Schüchternheit einfach abfallen wie faules Obst. Allerdings gerät die Schriftstellerin langsam in Zeitnot, schließlich wartet schon der nächste Termin. Ob sie denn noch Bücher signieren würde? Schon halb von der Bühne, möchte sie ihre Fans natürlich nicht vor leeren Vorsatzblättern sitzen lassen. Bereitwillig steht sie dann für »nur noch ein Foto!« da und lächelt in Kameras, bis die Wangen schmerzen müssen.

Julya Rabinowich hätte sicher gerne mehr Zeit für ihr Publikum gehabt, das sie gar nicht so recht gehen lassen will und das so herrlich reflektierte Sätze formuliert wie: »Es gibt ja viele schwierige Themen auf der Welt, das hat sicher einen besonderen Anreiz, darüber zu schreiben.« Ganz Recht, und deshalb macht Rabinowich auch gleich weiter und arbeitet schon fleißig an zwei weiteren Romanen. Einer davon sogar wieder für ihre jungen Fans.

Beitragsbild: Julya Rabinowich © Friederike Klose


Die Veranstaltung: Julya Rabinowich liest aus Hinter Glas, Messegelände, Halle 2, 21.3.2019, 13 Uhr


Das Buch: Julya Rabinowich: Hinter Glas. Carl Hanser Verlag, München 2019, 208 Seiten, 16 Euro, E-Book 11,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Nina Lischke

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