Unendliche Textekstase

Die kraftvolle Sprache in James Baldwins Roman »Von dieser Welt« lässt einen den Messetrubel völlig vergessen. Dagegen kommt auch seine Übersetzerin Miriam Mandelkow nicht an.

Die Buchmesse ist häufig absurd: Existenzielles trifft auf Banales, innerhalb des Messetrubels gibt es immer wieder Texte, die Zuhörer ganz in ihren Bann ziehen können. Am Forum International und Übersetzerzentrum findet, direkt bevor die Übersetzerin Miriam Mandelkow den Roman »Von dieser Welt« von James Baldwin vorstellt, eine Preisverleihung statt. Kostenloser Sekt wird ausgeschenkt, die Stimmung ist gelöst. Ins Gläserklirren beginnt Moderator Andreas Jandl das Gespräch über den 1987 verstorbenen Autor James Baldwin.

James Baldwin (1924–1987). © ullstein bild – Roger Viollet/Jean-Pierre Couderc

Sehr zu Recht wird Baldwin zurzeit in Deutschland wiederentdeckt. In seinen präzisen, bewegenden Essays über sein Leben als afroamerikanischer Homosexueller zeigt er das Politische im Individuellen und macht eindrücklich deutlich, wie rassistische und Klassendiskriminierung sich bis ins Privateste auswirken. Ein Autor, über den zu Recht häufig gesagt wird, er habe eine Sprache von biblischer Kraft – und doch ist er ganz »Von dieser Welt«, wie der deutsche Titel seines semiautobiographischen Romans »Go tell it from the mountain« von 1953 lautet.

Erzählt wird von 24 Stunden im Leben des John Grimes, einem sensiblen afroamerikanischen Jungen im New York der Dreißiger Jahre, der mit der strengen Religiösität seiner Familie, mit Rassismus, mit seiner sexuellen Identität zu kämpfen hat. Gegen die Kraft dieses Romans, die sich schon in dem kurzen Ausschnitt zeigt, den Miriam Mandelkow vorliest, kommt das an sich interessante Gespräch mit Mandelkow zu ihrer Übersetzertätigkeit nicht an.

Besonders, erzählt sie, habe sie ihre Scheu vor Wortwiederholungen ablegen müssen, da diese für Baldwins Stil essentiell seien. Sie habe sich bei der Übersetzung primär auf den Rhythmus von Baldwins Sätzen konzentriert, was bei der stillen oder lauten Lektüre des Romans auch deutlich zu spüren ist. Dabei habe ihr geholfen, dass sie auch Stepptänzerin sei und den Text so »in die Füße kriegen« könne.

© dtv

Ungeschickt ist die Gesprächsführung von Andreas Jandl, der statt Fragen zu stellen, lieber Andeutungen über Mandelkows Tätigkeit fallen lässt, die sie und das Publikum verwirren. Beispielsweise versucht er, Näheres über ihre Stepptanz-Erfahrungen herauszufinden, indem er bemerkt: »Du arbeitest ja auch mit deinem Körper«, was im sektseligen Publikum für verdruckste Lacher sorgt. All das und auch der Lärm in Messehalle 4 verblasst aber, als Mandelkow Baldwins Beschreibung eines ekstatischen Gottesdienstes der Pfingstgemeinde vorliest, in der der Vater der Romanfigur John Grimes als Laienprediger spricht. Obwohl die ganze Kraft der Sätze sich erst im Zusammenhang, im dramaturgischen Aufbau der Szene entfaltet, hier eine Kostprobe: beschrieben wird einer der vom Heiligen Geist erfüllt tanzenden Besucher des Gottesdienstes: »(…) seine Fäuste zuckten am Körper, als schlüge er eine Trommel. Und eine ganze Weile so weiter, inmitten der Tanzenden, mit gesenktem Kopf und trommelnden Fäusten, weiter, weiter, unerträglich, bis es schien, als stürzten die Mauern des Gotteshauses durch bloßen Hall ein; und auf einmal der Schrei, Kopf hoch, Arme erhoben, Schweiß auf der Stirn (…)«.

Mandelkows gelungene Übersetzung des großen Romans von James Baldwin ist unbedingt lesenswert – und eigentlich ist es ein Kompliment an ihre Arbeit, dass ihr Gespräch mit Andreas Jandl so sehr vom Romantext überstrahlt wird.

Beitragsbild: Miriam Mandelkow erzählt Andreas Jandl über Freud und Leid des Übersetzerlebens. © Ansgar Riedißer


Die Veranstaltung: James Baldwins »Von dieser Welt«. Die vielfach ausgezeichnete Übersetzerin Miriam Mandelkow über die Wiederentdeckung einer Ikone, Moderation: Andreas Jandl, Forum International und Übersetzerzentrum, 16.3.2018, 16 Uhr

Das Buch: James Baldwin: Von dieser Welt. Übersetzt von Miriam Mandelkow. dtv, München 2018, 318 Seiten, 22 Euro, E-Book 18,99 Euro

 


 

 

Der Rezensent: Ansgar Riedißer