Tiefgründigkeit inmitten von Lärm und Trubel

Bernadette Németh liest aus ihrem Roman »Der Rest der Zeit« und bringt das Publikum zum Reflektieren, aber auch zum Abschweifen.

© Verlag Wortreich
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An meinem zweiten Tag auf der Buchmesse frage ich mich, ob ich bei »Und täglich grüßt das Murmeltier« gelandet bin. Genau wie bereits am Donnerstag, als ich meine erste Lesung in diesem Jahr besucht habe, befinde ich mich im Literaturcafé der Buchmesse, wieder lausche ich einem sympathischen Dialekt (dieses Mal jedoch Österreichisch statt Schweizerdeutsch), der durch Musik vom Nachbarstand zusätzlich untermalt wird. Im Verlauf der Lesung freue ich mich allerdings über die teils schönen, teils schiefen und dadurch lustigen Töne des Workshops. Denn der Inhalt von Bernadette Némeths Roman »Der Rest der Zeit« ist keine leichte Kost. Das Buch befasst sich mit einem heftigen Richtungswechsel im Lebens. »Es thematisiert die Frage, was man tun würde, wenn man nur noch einen kleinen Rest der Zeit zu leben hätte «, so die Autorin.

Die Protagonistin Tünde ist eine junge Ärztin, die durch einen Schicksalsschlag plötzlich selbst zur Patientin wird und sich im Zuge dessen mit ihren bisherigen Lebensentscheidungen befasst. Der Name Tünde, der aus dem Ungarischen stammt, kommt übrigens nicht von Ungefähr – Németh wuchs zweisprachig auf, mit Deutsch und Ungarisch, daher die Verbindung. Und auch das Thema ist nicht zufällig gewählt, denn die Autorin ist neben ihrer Tätigkeit als Journalistin auch selbst Ärztin. Abgesehen von Tündes schwerer Geschichte verfolgt der Roman noch andere Handlungsstränge. Unter anderem thematisiert er den Familienzusammenhalt in schweren Zeiten. Und dabei gibt es auch ein paar schöne Erinnerungen und Passagen, die leider bei der Lesung unerwähnt bleiben. Die Stellen, die Németh auswählt, zeigen neben Tündes Krankheitsverlauf auch noch eine Fehlgeburt, die Flucht und den Tod ihres Vaters und die Geschichte einer Patientin, die an Krebs erkrankt ist, aufgrund der Feiertage aber keinen Termin in der Klinik bekommt. An sich sind dies zwar außergewöhnlich schwerwiegende Themen, jedoch sorgen sie im Verlauf des Buches dafür, dass die Spannung erhalten bleibt. Im Rahmen der Lesung wirken sie aber – so geballt in 30 Minuten – etwas erdrückend.

Aber natürlich ist es eine essenzielle Frage, was man mit seinem Leben anfangen würde, bliebe einem nicht mehr viel Zeit übrig. Und – viel wichtiger noch – warum setzt man die Dinge, die man dann tun würde, nicht sofort in die Tat um? Jeder fragt sich so etwas vermutlich hin und wieder. Jedoch neigen Menschen dazu, unschöne Dinge wie die eigene Sterblichkeit zu verdrängen. Und so scheint dies auch bei einigen Personen im Publikum zu sein, die langsam aber stetig abzuschweifen drohen. Némeths angenehmes Österreichisch und die immer wieder ertönenden Instrumente holen diese Leute jedoch zurück zur Lesung, zurück ins Hier und Jetzt.

Beitragsbild: Bernadette Németh. © Laura Hüser


Die Veranstaltung: Bernadette Németh liest aus Der Rest der Zeit, Literaturcafé Leipziger Buchmesse, 25.3.2017, 13.30 Uhr

Das Buch: Bernadette Németh: Der Rest der Zeit. Verlag Wortreich, Tübingen 2017, 328 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 9,99 Euro


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Die Rezensentin: Laura Hüser