Ein Schatten in der Kindheit

Antje Wagner liest im Kultur Café Kune aus ihrem Buch »Schattengesicht«.

Antje Wagner. © Hannes Windrath

Das Café ist klein und gemütlich, fernab vom Trubel der Buchmesse. Circa zwanzig Menschen finden hier Platz und sind gespannt. Das Mikrofon hingegen hat andere Pläne, es knistert und knackt. Geht es auch ohne? »Ich kann auch schreien, das Mikrofon hat Husten.« Antje Wagner freut sich über ein ruhiges und kleines Publikum, das sie auch ohne technische Unterstützung gut versteht.

Wohnzimmerstimmung. Sie schwelgt in ihrem Werk »Schattengesicht«. Es ist ihr schmalstes Buch. Vor der Veröffentlichung ließ sie es ganze vier Jahre liegen, bevor sie sah, was mit dem Buch nicht stimmte. Es war einfach zu lang. Die Reihenfolge der Szenen musste rückwärts ablaufen, damit die Spannung und das Geheimnisvolle der Geschichte bis zur letzten Seite erhalten bleibt. Das Geheimnis ruht in der Kindheit der Protagonistin Milana. Und es versteckt sich. Vor jedem, auch vor dem Leser. Bis zum Schluss. Jeder Satz hat einen bestimmten Platz mit einer gezielten Wirkung.

© Ulrike Helmer Verlag

Mila ist neun Jahre alt, ihre Eltern haben eine Kneipe in der Nähe des Weihers. Im Sommer darf kein Kind zu dem modrigen Gewässer, abgesehen von Mila. Hier hat sie ein geheimes Reich unter den Ästen einer Trauerweide, das ihr später noch oft als Rückzugsort dienen soll. Milas Mutter ist alt, ihr Vater verstorben. Als Milas große Schwester Ina und ihr Lebensgefährte Carsten in ihr Leben treten, verändert sich einiges. Das fantasievolle, freiheitsliebende Kind wird langsam in ein Regelsystem gezwängt. Sie soll in der Kneipe helfen, der Weiher wird ihr verboten. »Sie nehmen ihr die Luft.« Mila wird oft weggesperrt und schleicht sich hinaus. Einige Sommer vergehen, und Mila findet Freunde, ist glücklich. Doch auch diese werden ihr von Carsten entrissen. Sie flieht in ihr Reich am Weiher und trifft auf Polly, mit der sie von nun an ihr Leben teilt.

Das Buch beginnt in Milas Gegenwart, im Gefängnis, nach dem Mord. Die Kapitel schreiten immer weiter zurück, erzählen von Milas Leben. Ihre Entwicklung bleibt für den Leser lange Zeit rätselhaft. Ein Kunstgriff, der nicht in jede Geschichte passt, hier allerdings das große Geheimnis aufrechthält, und das bis zum Schluss. Vielleicht auch darüber hinaus. Die Spannung bleibt bestehen. »Das Geheimnis liegt hinter einer Ecke. Es reicht nicht aus, nur davor zu stehen. Man muss weitergehen und um die Ecke schauen.«

»Schattengesicht« ist kein klassischer Thriller mit Gruselerlebnis. Wagner bezeichnet das Werk als Hybrid – mit großem Anteil Spannungsroman und einer zarten Komik.

Beitragsbild: Antje Wagner. © Clara Stralucke


Die Veranstaltung: Antje Wagner liest aus Schattengesicht, Kultur Café Kune, 16.03.2018, 20 Uhr

Das Buch: Antje Wagner: Schattengesicht. Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2018, 174 Seiten, 12 Euro

 


 

 

Die Rezensentin: Clara Stralucke