Syrische Gedichte

Eine Lesung über fremde Sprachen und Übersetzungen, Deutschland und Syrien, Krieg und Leben. Alles vereint in der Poesie der jungen Autorin Lina Atfah.

Im Forum »Die Unabhängigen« findet am Sonntagnachmittag eine Lyrik-Lesung vom Pendragon Verlag statt. Verlage aus diesem Forum stehen dafür, anspruchsvolle Werke im Programm zu haben. Ich rechne nicht mit viel Publikum, da es der letzte Tag der Messe ist. Umso beeindruckter bin ich, die Lesebude voller Menschen anzutreffen. Die Sitzreihen sind gefüllt, die Trennwände der Lesebühne vor lauter Menschen kaum erkennbar und selbst die Eingänge von Zuschauern versperrt. Auch das Alter der Anwesenden ist auffällig: von Mitte zwanzig bis sechzig plus scheinen alle Altersgruppen vertreten. Poesie ist offenbar wieder im Kommen.

Motto der Unabhängigen © Yasmin Rau

Da sich die Autorin noch nicht sicher genug fühlt, mit ihren derzeitigen Sprachkenntnissen die deutsche Übersetzung ihrer Gedichte vorzutragen, hat sich Verlegerin Katja Cassing vom Cass Verlag dazu bereit erklärt. Ein schöner Freundschaftsdienst zwischen Mitgliedern des Forums und der Kurt-Wolff-Stiftung.

Atfah liest auf Arabisch vor. Wobei – vorlesen trifft es nicht genau. Ihre Verse klingen beinahe wie gesungen und sie scheint mit ihrem ganzen Körper vorzutragen, die Lyrik zu spüren. Diese sehr lebendige Art zu Lesen lehrte sie ihr Vater, der es »Lesen vom Herzen« nannte, wie sie später im Gespräch mit Pendragon-Verleger Günther Butkus berichtet. In ihren Gedichten verarbeitet sie ihr Leben und ihre Heimat: Flucht aus Syrien, Trennungsschmerz vom Zuhause, das Bedürfnis Gefühle in Worte zu fassen. Alles bestückt mit arabischen Sagen und Mythen.

Apropos Gefühle in Worten ausdrücken – kann man in Übersetzungen dem lyrischen Original überhaupt gerecht werden? Günther Butkus spricht die Problematik an, gerade Poesie passend in eine andere Sprache zu übertragen. Je nach Übersetzer kann dasselbe Gedicht eine völlig andere Wirkung haben. Wer bei dieser Aussage auch das Verlangen hat, Atfahs Gedichte in ihrer Muttersprache lesen zu können, wird sich freuen: Das Buch enthält neben der deutschen Version auch das arabische Original. Nichts hindert einen also daran, in die arabische Sprache einzutauchen und sich selbst am Entziffern zu versuchen.

© Pendragon Verlag

Eine weitere Besonderheit des Buchs: Ganz nach europäischer Leserichtung beginnen die deutschen Übersetzungen im Gedichtband von links nach rechts. Die arabischen Originale aber sind nach typisch arabischer Leserichtung umgekehrt, also von »hinten nach vorne« im Werk platziert. So beginnt die Poesiesammlung mit dem Titel »Das Navi« und endet auch mit ihm. Das letzte Gedicht steht folglich in der Mitte des Buchs. Hier treffen deutsche Version und arabischer Gegenpart des Gedichts »Die Grüße« aufeinander.

Ein sehr kunstvolles Buch also mit bedeutungsschwerem Inhalt von einer wortgewandten Autorin. Wer sie persönlich angetroffen hat, konnte Zeuge ihres Tatendrangs werden. Sie hat noch viel mehr zu erzählen und wird dies in weiteren Gedichten tun, aber auch ein Roman ist geplant, in dem sie ihre Familiengeschichte verarbeiten möchte. Sie möchte schreiben und erzählen. Mit ihrer lebensfrohen Ausstrahlung wird sie sicher auch weiterhin ein Publikum antreffen, das sie hören will. Wir können also gespannt ihre nächsten Werke erwarten.

Beitragsbild: Günther Butkus (links) und Katja Cassing (Mitte) vom Forum »Die Unabhängigen« mit Autorin Lina Atfah (rechts). © Yasmin Rau


Die Veranstaltung: Lina Atfah und Katja Cassing lesen aus Das Buch von der fehlenden Ankunft, Moderation: Günther Butkus, Forum Die Unabhängigen, Halle 5, Stand H309, Messegelände, 24.3.2019, 14 Uhr

Das Buch: Lina Atfah: Das Buch von der fehlenden Ankunft. Pendragon, Bielefeld 2019, 152 Seiten, 22 Euro, E-Book 16,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Yasmin Rau

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