Polyphone Literatur

Ruedi Debrunner liest aus seinem zweiten Roman »Klangspur in die vergessene Welt«, in dem er dem Leser eine solche souverän aufzeigt.

© edition 8

Die Nacherzählung ist eine recht beliebte Prüfungsform unter Deutschlehrern. Ruedi Debrunner ist kein Deutschlehrer, sondern Musiker, aber schreiben kann er auch. Unter den wachsamen Augen von Moderator Heinz Scheidegger liest er am Sonntag aus seinem zweiten Roman »Klangspur in die vergessene Welt«. Erst eine mit Post-its markierte Passage, dann blickt er auf und ordnet das Gelesene in den Kontext ein, ähnlich eben einer Nacherzählung. Ungefähr so: »Also, dieser Benno Spiess ist Musiklehrer, und der entdeckt also dieses Stück von diesem Alex Stern. Und, äh, was dann passiert, lese ich mal vor.« Lesen, aufblicken, einordnen. Ein Motiv wiederholt sich. Wird leicht variiert. Wird wieder auf Anfang gesetzt. Eine kompositorische Fingerübung. Und der Moderator schließt am Ende, ob bewusst oder nicht, mit einer humorvollen Persiflage auf den Verlauf der vergangenen halben Stunde: »So, jetzt käme die Abmoderation und ich würde sie dann verabschieden. Tschüs!«

Das Buch ist ungleich raffinierter. Kein improvisierendes Präludium, sondern eine Sinfonie, die sich gewaschen hat. Da ist dieser Benno Spiess, der ist Musiklehrer und, naja, entdeckt also dieses Stück von diesem Alex Stern. Und es lässt ihn nicht mehr los. Als geübter Musikkritiker denkt er sich nicht viel dabei, das Konzert von dieser Finnin zu besuchen, 1200 Zeichen über ihr Geklimper für die Presse. Der Protagonist hat seine Leidenschaft für Musik routiniert, automatisiert, vielleicht verloren. Doch sie kommt an diesem Abend mit voller Wucht zurück. Was hat die Pianistin mit ihm angestellt? Was hat sie da aus diesem Stück rausgeholt und ihm eingeflößt? Als Leser kann man erstaunlich gut nachvollziehen, wie sich das anfühlt, als Akademiker von der puren Leidenschaft überrollt zu werden. Und da es mit den 1200 Zeichen dann doch nicht getan ist, beschließt Benno, dem Komponisten dieses Meisterwerks nachzuspüren. Was folgt, ist sauber auskomponierte Erzählkunst. Eine bröckelnde Ehe, die Geschichte einer Selbstfindung, eine vorsichtige Liebesgeschichte, die Suche nach einem Verschollenen, eine unterhaltsame Hommage an menschliche Beziehungen und Gefühlswelten.

Ruedi Debrunner © edition 8

Das alles ist Debrunner in einem Buch gelungen, ohne, dass die Handlung überbordet oder an Struktur verliert. Die Sprache ist bildreich, ohne blumig zu werden. Der Tonfall ist musikalisch, aber ungekünstelt. Wenn unser Musikkritiker in den Bergen und Wäldern, die er durchwandert, Musik hört, kauft man ihm das ab. Wenn er seine Kindheitserinnerungen Revue passieren lässt oder fiebrig fantasiert, dann fiebert man mit. Was dem Autor so gut gelungen ist, ist vermutlich die Balance zwischen poetischen, humorvollen und rein erzählerischen Passagen. Man will das Buch nicht weglegen, um den sanften Zauber nicht zu zerstören. Diese Vorsicht ist gar nicht nötig, denn der Stil ist zugänglich, so dass man schon nach zwei, drei Sätzen wieder drin ist im Strudel dieser literarischen Komposition. Schlägt man das Buch willkürlich auf, landet man einmal bei einer leicht verdaulichen Beschreibung eines unordentlichen Zimmers, darin Mäusepisse und ein verstaubtes Klavier. Ein anderes Mal schwankt die Handlung zwischen Fantasie und Realität, ist erotisch aufgeladen, dann schafft sie ein neues Verständnis für die Faszination, die Musik auslösen kann. Melodie, Harmonie und Rhythmus stimmen. Da capo!

Beitragsbild: Ruedi Debrunner (links) liest, Heinz Scheidegger lauscht andächtig. © Jonas Galm


Die Veranstaltung: Ruedi Debrunner: Klangspur in die vergessene Welt, Moderation: Heinz Scheidegger, Halle 5, Forum Die Unabhängigen, 18.3.2018, 12.30 Uhr

Das Buch: Ruedi Debrunner: Klangspur in die vergessene Welt. edition 8, Zürich 2017, 272 Seiten, 24,20 Euro


 

 

Der Rezensent: Jonas Galm