Laura Adrian liest auf der Leipziger Buchmesse aus ihrer romanhaften Biografie »Nur die Hölle könnte schlimmer sein«.
Die Protagonistin des Buches »Nur die Hölle könnte schlimmer sein«, Lucy, ist zwölf Jahre alt und wird in der Schule gehänselt, verliert ihr soziales Umfeld und flüchtet sich in ein soziales Netzwerk. Über die Verlorenheit und Trauer, die ihr durch den Alltag in der Schule zusetzen, erzählt sie ihren Eltern nichts. Online lernt sie Cedric kennen, der zwar viel älter ist als sie, jedoch immer für sie da, wenn sie nicht weiterweiß. Er vermittelt ihr ein Gefühl von Geborgenheit, macht sie »psychologisch abhängig«. Die tief verankerte Abhängigkeit verliert sich nicht, als die Situation sich drastisch verändert. Cedric beginnt, die Kontrolle zu übernehmen, fordert Gehorsamkeit, misshandelt und missbraucht sie. In einer undurchdringlichen Abwärtsspirale aus Angst und Abhängigkeit wird Lucys Körper an fremde Männer verkauft, zwangsprostituiert. Die Gewalt gegen das junge Mädchen nimmt zu. Sie wandelt zwischen Schweigen im Alltag, der Hoffnung, jemand würde ihr helfen und einer Hölle, aus der es keinen Ausweg zu geben scheint.

Bereits das Cover lässt erahnen, dass die romanhafte Biografie keinen sachlichen Umgang mit dem »Tabuthema« Zwangsprostitution bietet. Was Laura Adrian fordert, ist Aufmerksamkeit, Enttabuisierung, Menschen, die nicht wegsehen. Und diese Forderung ist zweifelsohne sehr wichtig. Der Umgang ist allerdings mehr als enttäuschend. Sie schreibt in schwacher Sprache, mit erheblicher Selbstdistanzierung zum Thema und drastisch unsachlicher Darstellung von Gewaltsituationen, Gefühlen und Meinungen. Beim Umgang mit ähnlichen Erfahrungen, instabiler Sensibilität oder in der Findungsphase Pubertät ist dringend von diesem Buch abzuraten. Eine Vergewaltigung mit den Worten »Er hüpfte auf mir herum, als wäre ich eine Hüpfburg« zu verbalisieren und gleichzeitig zu ernster Enttabuisierung aufzurufen, funktioniert nicht.
Die Lesung auf der Leipziger Buchmesse hingegen bietet Platz, vor einem großen Publikum laut zu werden, seine Stimme gegen Zwangsprostitution zu erheben, sich stark zu machen. Es ist die letzte Chance, ihren eigenen Forderungen zu entsprechen. An dieser Herausforderung scheitert sie. Anmoderiert von einem Begleiter Adrians, wird die Lesung angekündigt, als sei das Thema ungefähr so spannend und wichtig wie der Anbau von Kartoffeln, monoton und unkommentiert schwebt das Wort »Zwangsprostitution« über der geringen Zuhörerzahl. Adrian verliest eine Szene, in der Lucy Cedric erst seit kurzem kennt, ihn in einem Moment der Selbstzweifel trifft und von ihm getröstet wird. Er nimmt sie in den Arm. Hier beendet Adrian die Szene, erklärt kurz und nebensächlich, dass Cedric von nun an immer einen Schritt weiter geht, sie schlägt, missbraucht und verkauft. Ein ziemlich großer Sprung: von Trost zu Verkauf. Auch hier bleibt alles unkommentiert im Raum stehen, Nebensache.
Die zweite verlesene Stelle ist eine Szene unmittelbar vor einem Missbrauch. Nahtlos geht sie zu dem über, was noch gesagt werden muss. Es geht um sich-versteckendes Verhalten, um Gehorsam, Kontrolle, Selbstbetäubung und -verletzung. Adrian meint, jeder würde es sehen, doch keiner fühle sich verantwortlich und wolle helfen. Was dann folgt ist falsch. Schlichtweg falsch. Zwischen »der Psychologe denkt, es sei der Kram der Eltern« und »die üblichen Kunden sind keine Hartz-IV-Empfänger, tätowierte Leute mit Piercings und ›hartem‹ Auftreten« verliert sich der Respekt für das Werk Laura Adrians. Sie unterstützt gesellschaftlich verurteilendes Schubladendenken, fordert für sich selbst jedoch einen Umgang ohne Verurteilung ihres Äußeren. Sie schließt die Lesung mit den Worten »Ich glaube, man kann danach weiterleben« und »Ja, Ende«.
Die Themen Zwangsprostitution, sexueller Missbrauch und häusliche Gewalt müssen enttabuisiert werden! Es muss ein Rahmen geschaffen werden, in denen Opfer sich sicher fühlen, laut werden und nicht allein in Zweifeln, Schuldgefühlen und Hilflosigkeit ersticken. Als selbsttherapeutische Maßnahme, die Laura Adrian hilft, mit ihren Problemen umzugehen, sich selbst und die Situationen besser verstehen zu können, schätze ich das Buch und auch die Autorin sehr. Ein selbstreflektierter und kritischer Umgang in Form einer Biografie, selbst wenn sie vorneweg als romanhaft gesetzt wird, ist mit einer derart geringen zeitlichen Distanz kaum umsetzbar. Während Adrian sich beim Schreiben dieser Seiten wiederfand und wieder weiß, wer sie ist, könnten andere, vorzüglich junge Menschen ein Stück von sich selbst in diesem Buch verlieren.
Beitragsbild: Laura Adrian © Clara Stralucke
Die Veranstaltung: Laura Adrian liest aus Nur die Hölle könnte schlimmer sein, Forum Literatur, 17.3.2018, 17 Uhr
Das Buch: Laura Adrian: Nur die Hölle könnte schlimmer sein. Merlin´s Bookshop, Birlenbach 2017, 340 Seiten, 12,95 Euro
Die Rezensentin: Clara Stralucke