Ein Erlebnisabend mit Wolf-Dieter Storl, nachdem er beim letzten Mal im Schnee feststeckte. Ein Bericht über seine wilden Jahre in den USA.

Es ist 19.30 Uhr. Lehmanns ist voll. Etwa fünfzehn Stuhlreihen sind aufgebaut, davon ist bereits die Hälfte besetzt und das eine Dreiviertelstunde vor eigentlichem Lesungsbeginn. Das Publikum ist eine bunte Mischung, man sieht viele bunte Farben, Filz, selbstgestrickte Pullover und Dreadlocks. Der Altersdurchschnitt liegt bei über 40 und ich fühle mich wie der sprichwörtliche Hahn im Hühnerstall – nur bin ich eben ein Küken. Das Publikum hat gute Laune mitgebracht, alle sind laut, lachen, unterhalten sich begeistert. Um 19.45 Uhr betritt Wolf-Dieter Storl unauffällig den Raum, plaudert mit den ersten Reihen, begrüßt die Menschen und stellt sich dann für das Signieren von Büchern zur Verfügung. Die Schlange ist lang, alle wollen ein bisschen Zeit mit dem Mann, der aussieht wie der Weihnachtsmann mit Dreadlocks. Um 20.15 Uhr beginnt dann die Lesung. Die Einleitung ist lang, wir erfahren viel über Storls Vorfahren aus Leipzig, bis hin zu seinem Versuch, seine Verwandten in der DDR zu besuchen. Darunter auch eine Anekdote seines Onkels, der von der Stasi gefragt wurde, ob »dieser Storl« ein gefährlicher Revoluzzer sei. »Das Wölfchen ist nicht gefährlich – er ist nur ein Spinner«, gibt er trocken wieder, was dem Publikum lautes Lachen entlockt.
Es ist eigentlich keine richtige Lesung im klassischen Sinne. Stattdessen erzählt er Anekdoten aus seiner Zeit in Amerika, die zusammenhanglos wirken, die Menschen aber offensichtlich begeistern. Storl wechselt von misstrauischen Nachbarn, die ihn und seine Frau beobachten, zu Indianern, die auf großen Trommeln spielen, dazu wie Kojoten singen und ihn dabei in eine Trance versetzen – natürlich nicht ohne eindrucksvolle Gesangsdarbietung seinerseits – bis hin zu seinem traumatischen Espressoerlebnis in Italien. »Man kannte ja damals keinen Espresso in Amerika. Jetzt kenne ich ihn sehr gut.« Auf charmante Weise kommt er dabei jedoch immer wieder auf eines zurück – die Natur, die Pflanzen, die Tiere. Und die Verbundenheit der Menschen zu ihnen. Worauf er dabei eigentlich hinauswill: Amerikaner haben keinerlei Verbundenheit zur Natur, wir Europäer jedoch schon. Es wirkt fast schon wie eine Vorlesung über Pflanzenkunde, über die Geister, die den Pflanzen, den Tieren und der Natur innewohnen.

Doch Storl ist dabei auf charmante Weise offen, schmunzelt selbst öfter mal über sich und seine Witze. Er erzählt, dass es nur wenig Rezensionen zu seinem Buch gibt, da die Leute nicht wüssten, wie sie darüber reden dürften. »Ich habe einfach berichtet, so wie ich die Dinge erlebt habe«, sagt er selbst und beteuert noch, dass wirklich alles biografisch, nichts davon seiner Fantasie entsprungen sei. »Es ist schockierend. Es ist nicht jugendfrei.« Zum Ende hin kommt der Wunsch einer Zuhörerin, er möge doch aus seinem Buch lesen. Dem kommt er nach, liest einige Passagen eines Autostopps vor und überspringt die Stellen, die man eigentlich gerne gehört hätte. Doch die sind ja nicht jugendfrei und »könnt ihr selbst nachlesen«. Das Vorlesen wirkt fast schon unauthentisch, er stammelt häufig und verliert den Faden, dennoch reißt die Begeisterung des Publikums nicht ab und Storls Fans schenken ihm noch einen riesigen Applaus, als der Abend mit einer Belehrung über die gefährlichen Strahlungen unserer Handys endet.
Beitragsbild: Wolf-Dieter Storl erzählt über seine wilde Jugend in den USA der sechziger Jahre. © Lara Schmidtchen
Die Veranstaltung: Wolf-Dieter Storl liest aus Mein amerikanischer Kulturschock, Lehmanns Leipzig, 15.2.2018, 20.15 Uhr
Das Buch: Wolf-Dieter Storl: Mein amerikanischer Kulturschock – Meine Jugend unter Hillbillies, Blumenkindern und Rednecks. Kailash, München 2017, 480 Seiten, 20 Euro, E-Book 15,99 Euro
Die Rezensentin: Lara Schmidtchen