Natur im urbanen Chaos

Annalena McAfee nimmt uns in ihrem neuesten Roman »Blütenschatten« mit zu einem Entwicklungsprozess, der scheinbar erfahrenen Künstlerin Eve, die es trotzdem schafft, sich immer tiefer in das Chaos des Lebens zu stürzen.

© Caroline Theile

Eve Laing ist eine 60-jährige Künstlerin in London, die sich durch ihr abgehärtetes, willensstarkes und orientiertes Verhalten fast immer durchsetzen konnte. Ihre weit zurückliegende Vorgeschichte in der Kunstszene hängt ihr allerdings immer noch nach und sie arbeitet hart, um sich davon loszulösen. Eves neueste Ausstellung, eine Museumsretrospektive rund um das Thema Pflanzen und Gewächse, ist in Arbeit, doch es gibt einige ehemalige Mitstreiter, die ihr Vorhaben um jeden Preis sabotieren wollen. Die Geschichte macht während des weiteren Lesens neugierig, da man sich durchgehend die Frage stellt, ob sie auch heute noch mit der Konkurrenz aus ihrer Vergangenheit fertig werden wird.

Zu Beginn des Romans schreitet die Handlung eher träge voran, doch schnell baut sich Spannung auf und ich hatte Freude daran, den Entwicklungsprozess der Protagonistin begleiten zu dürfen. Eve hat ein eher kaltes Auftreten und wirkt sehr unsympathisch, doch im Umgang mit anderen Menschen bekommt man einen genaueren Einblick in ihre Welt. Dies spiegelt sich zum Beispiel im Verhalten gegenüber ihrer Familie oder vermeintlichen Freunden wider. Für mich wurde die Erzählung nie langweilig, da es McAfee die gesamte Geschichte über gelungen ist, die Gefühlslage von Eve in all ihren Facetten zum Ausdruck zu bringen.

Neben den emotionsgeladenen Konversationen bringt sie immer wieder Weisheiten, wie »In vielerlei Hinsicht ist der Prozess eine Recherche« an und entschleunigt so die negative Dynamik unter den mitwirkenden Künstler*innen um sie herum. Zugleich beweist McAfee mit dem Roman ihr Talent für das Vermitteln zwischenmenschlicher Spannungen und das detailreiche Einarbeiten von Wahrnehmungen in die Geschichte. Ich fühlte mich dabei an die Hand genommen und durch die Vergangenheit sowie Gegenwart der selbstbestimmten Protagonistin geführt.

»Blütenschatten« ist ein mit unerwarteten Wendungen gespickter Roman, der in vielerlei Hinsicht Anlass zum Nachdenken gibt und zugleich ein wichtiges Thema umreißt: Wie weit darf Kunst gehen?


Das Buch: Annalena McAfee: Blütenschatten. Aus dem Englischen von pociao und Roberto de Hollanda. Zürich: Diogenes Verlag 2021. 336 S., 24 €, E-Book 20,99 €


 

 

Die Rezensentin: Caroline Theile