Mut zur Fremde

Jalid Sehouli liest aus seinem neuen Buch »Marrakesch«.

Während sich die Welt noch einmal für eine dicke weiße Schneedecke entschieden hat, kann man sich an diesem Abend im GANOS Kaffee-Kontor in eine Welt aus Tausendundeiner Nacht entführen lassen. Jalid Sehouli: Humanmediziner, Ordinarius an der Charité, einer der führenden Krebsspezialisten der Welt, aber eben auch Autor. Geboren in Berlin, als Kind marokkanischer Eltern, bemerkte er in einer Zeit, die voller Sinnfragen und auch Traurigkeit war, dass er gerne mehr über das Denken seiner Eltern erfahren würde. So begann Sehouli Marrakesch zu bereisen. Sein Buch »Marrakesch« ist mehr als ein Reisebericht. Es ist die Reise Sehoulis zu sich selbst.

Bevor die Lesung beginnt, treten einige Menschen mit Sehouli in einen Dialog. Diesen Begriff wird er am Abend noch oft verwenden und seiner Bedeutung Ausdruck verleihen. Zunächst leitet Ulrich Hopp, Verlagschef des be.bra Verlags, mit einigen Informationen zu Sehoulis Leben, ein. Was darauf folgt, ist eine Hommage an den Autor. »Sehouli traut seinen Augen und Ohren.« Wunderschöne poetische Wendungen werden für seine Arbeit gefunden. »In Sehoulis Beschreibungen wohnen Wissenschaft und Poesie beieinander und reisen auf einem fliegenden Teppich.« Die Neugier auf die Lesung steigt.

Jalid Sehouli (rechts) mit dem Verlagschef des be.bra Verlags Ulrich Hopps (links). © Maxi Rauschenbach

Doch der Abend hält noch weitere Überraschungen bereit, als Sehouli seinen Freund und Mentor Prof. Dr. Mohamed Ait El Ferrane vorstellt. Er hat »Marrakesch« ins Arabische übersetzt und dankt Sehouli für den neuen Blick, den er durch dessen Arbeit auf seine Stadt gewonnen hat. Der Mentor beginnt auf Arabisch die ersten Seiten aus dem Buch zu lesen, der Autor sitzt andächtig daneben und lauscht. Schon in diesem Moment wird die Lesung mehr als die bloße Vorstellung eines neu erschienenen Buches. Sie ist Austausch und Andacht und etwas Einzigartiges. Wir müssen wieder lernen zuzuhören, lautet die Botschaft, die hinter der Lesung auf Arabisch steckt. Er habe genau so wenig verstanden wie das Publikum, bemerkt Sehouli. Wir alle sollten jedoch immer »erst beobachten, beschreiben und dann bewerten.« Diese Worte wiederholt er wie ein Mantra und sie sind wahr und wichtig. Sehouli beginnt nach etwa einer dreiviertel Stunde selbst zu lesen. Er liest den soeben auf Arabisch gehörten Teil nun auf Deutsch. Das Buch besteht aus vielen Geschichten, die sich genau in dieser Reihenfolge zugetragen haben. Jede Geschichte beginnt und endet mit den Worten »und die Sonne in Marrakesch und überall woanders geht unter, und die Sonne in Marrakesch und überall woanders geht wieder auf.« Marrakesch sei mehr als eine Stadt, sie sei Attribut für die Schönheit, die man zu sehen bekommt, wenn man nur nicht so arrogant durch die Welt geht. Im Vorwort des Buches, das ebenfalls verlesen wird, dreht sich alles um den Dialog mit der Welt und sich selbst und wie sehr er einem dabei helfen kann, die eigene innere Traurigkeit zu überwinden. Sehouli zeigt beim Lesen großes erzählerisches Talent. Beinahe überkommt einen das Gefühl er würde seine Texte predigen, im allerbesten Sinne: es begeistert und überzeugt.

Zuletzt liest er noch eine Geschichte aus den letzten Seiten seines Buches. Wobei er sich ständig selbst unterbricht, um persönliche Anekdoten einzuwerfen. Da sind beispielsweise die Rezepte für die typisch marokkanische Pastilla, die er ebenfalls in »Marrakesch« niedergeschrieben hat. Sehouli erzählt davon, wie er seinem Bruder stundenlang beim Kochen dieser zugesehen hat, um die richtigen Mengenangaben aufzuschreiben. »Wissen sie, welch wunderbare Intimität so etwas mit sich bringt?«, fragt er das Publikum. Es geht um Pastilla, kulinarische Entdeckungen, Gerüche und Riads, die von außen unscheinbaren Stadtvillen, die von innen an das Paradies erinnern sollen. Es geht aber auch um so viel mehr in Sehoulis Buch »Marrakesch«. »Wir brauchen die Begegnung mit der Fremde«, dies ist die Botschaft, die hinter der Poesie und dem Zauber von Sehoulis Buch und dieser Lesung liegt.

Beitragsbild: Das Buch zur Veranstaltung. © Henry Haase


Die Veranstaltung: Jalid Sehouli liest aus »Marrakesch«, Leipzig, 17.3.2018, 18 Uhr

Das Buch: Jalid Sehouli: Marrakesch, be.bra verlag, Berlin-Brandenburg, 2018, 176 Seiten, 20 Euro, E-Book 13,99 Euro

Coverabbildung © be.bra verlag


 

 

Die Rezensentin: Maxi Rauschenbach