Mercy On Me – Reinhard Kleist interpretiert Nick Cave

Eine Signierstunde mit Reinhard Kleist zu seinem Werk »Nick Cave – Mercy On Me« auf der Leipziger Buchmesse.

Reinhard Kleist © Carlsen Verlag by Wolf-Dieter Tabbert

Draußen tobt der Schnee, drinnen tobt die Messemeute. Menschen schieben sich in einer langen Reihe durch die Hallen der Leipziger Messe. Doch in der Mitte der Halle Fünf sitzt ein Mann an einem Tisch und nimmt sich Zeit, für jeden einzelnen in der Schlange eine kleine Zeichnung inklusive versprochener Signatur anzufertigen. Die meisten Zeichnungen stellen den »Helden« seines Buches dar: Schwarze Haare, zurückgekämmt aus einem hageren, langen Gesicht – er beherrscht es, Nick Caves typischen Gesichtsausdruck mit wenigen Strichen einzufangen. Der Mann heißt Reinhard Kleist und ist der Star der deutschen Comic- und Graphic-Novel-Szene.

Kleist ist spätestens seit seiner Graphic-Novel-Biografie über Johnny Cash einem großen Publikum bekannt und untermauert seinen exzellenten Ruf, die Musikszene verständnisvoll und intelligent in Bildform darzustellen, aufs Neue. In »Mercy On Me« verknüpft Kleist Nick Caves Biographie mit den Charakteren seiner Songs und stellt so aus verschiedenen Blickwinkeln ein sehr dramatisch anmutendes Gesamtbild zusammen, das wie gewohnt optisch hervorragend inszeniert ist. Um dem Stil von Cave gerecht zu werden, sind die Bilder in schwarz gehalten, finster, rau und expressiv. Um den Effekt zu erreichen, nutzte er unter anderem kaputte Pinsel.

Kleist stellt Caves gesamten Lebenslauf chronologisch da. Beginnend in seinem Heimatort Warracknabeal in der australischen Provinz zu den ersten großen Gigs in Melbourne und später beim versuchten Durchbruch in London und im Berliner Szeneleben. Vor allem im Berliner Kapitel gibt es viel Bekanntes zu entdecken; Kleist probiert die Zeit und die Stadt so detailliert wiederzugeben wie er kann. Dadurch wird im Endeffekt jedes Bild zum Suchbild: Der Typ da im Hintergrund könnte Bela B. von den Ärzten sein? Das macht das Leseerlebnis zu einem sehr großen Vergnügen für jeden Musikliebhaber, denn das Buch ist gespickt mit Verweisen und Anspielungen auf andere Künstler und Bands.

© Carlsen Verlag

Für Fans von Nick Cave und seinen Bands The Boys Next Door, The Birthday Party oder seinen Bad Seeds ist es umso interessanter, den gesamten Werdegang und Verlauf der persönlichen Krise Caves mitverfolgen zu können. Vor allem, da Kleist zu jedem Kapitel einen Song aus der Zeit nimmt und den Text wiederspiegelt, Caves Charaktere reden lässt und dadurch seine eigene Interpretation in die Situation einfließen lassen kann, gewinnt das Buch an Stärke. Trotzdem scheint er den Geschmack des Musikers getroffen zu haben; Nick Cave arbeitete teilweise mit und segnete die Arbeit ab. Und dass, obwohl Kleist Caves Drogenprobleme und Heroinsucht sehr grafisch aufzeigt. Die Geschichte wird so aber umso nahbarer, wenn sie den Helden auch mal am Boden zeigt. Auch, wenn der Held dieser Geschichte dem Abgrund mit Absicht immer näherkommen mag.

Obwohl Reinhard Kleist mit »Mercy On Me« eine sehr düstere und aufregende Interpretation von Caves Leben geschaffen hat, wird er mir persönlich als ein Ruhepol inmitten des Messetrubels in Gedanken bleiben, der mit aller Ruhe tut, was er am besten kann: außergewöhnlich zeichnen.

Reinhard Kleists spontane Zeichnung. © Julius Stelzer


Die Veranstaltung: Reinhard Kleist Signierstunde, Messe Halle 5, 17.3.2018, 14 Uhr

Das Buch: Reinhard Kleist: Nick Cave – Mercy On Me. Carlsen, Hamburg 2017, 323 Seiten, 24,99 Euro


 

 

Der Rezensent: Julius Stelzer