Mensch, Neandertaler oder etwas von beidem?

Jens Lubbadeh liest im Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie aus seinem neuen Thriller »Neanderthal«.

© Heyne

Ein Blick auf mein Fitnessband verrät mir, dass ich heute 3.000 Schritte gelaufen bin – und für den Weg vom Bett zum Schreibtisch und dann stündlich einen Ausflug in die Küche und zurück, ist das eigentlich gar nicht schlecht. Aber trotzdem deutlich zu wenig, hatte mich doch letztens erst einer der vielen Fitnessartikel im Internet wiederholt darauf hingewiesen, dass man mindestens 10.000 Schritte am Tag zurücklegen soll. Das schlechte Gewissen nagt – es handelt sich schließlich um meine Gesundheit. Ich entscheide mich gegen die bequeme Bahnfahrt und gehe an diesem Abend zu Fuß zur Lesung. Der Hang zur Selbstoptimierung bringt uns oft dazu, Dinge zu tun, auf die wir eigentlich gar keine Lust haben. Doch was wäre, wenn beispielsweise Krankenkassen einen gesunden Lebensstil belohnen würden und allumfassende Gesundheit zum höchsten Ideal einer Gesellschaft wird?

Wissenschaftsjournalist Jens Lubbadeh, der im Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie »Neanderthal« vorstellt, erschafft in seinem Thriller eine solche Dystopie. Im Jahr 2053 kontrollieren Fitnessarmbänder und -chips die Schrittzahlen, den Wasserkonsum und den allgemeinen Gesundheitszustand jedes Trägers. Mehr Bewegung, plastische, optimierende Eingriffe und eine gesunde Lebensweise resultieren in Bonuspunkten, während beispielsweise das Fehlen von Wearables erhöhte Beiträge im Gesundheitssystem zur Folge hat. Krankheiten und Behinderungen werden als etwas Schamvolles, fast Selbstverschuldetes angesehen und mittels neuester Gentechnik sind pränatale Eingriffe in das menschliche Erbgut obligatorisch, um Risikogene zu entfernen.

In der zu Beginn gelesenen Einstiegsszene des Thrillers findet Kommissar Nix von der Düsseldorfer Polizei eine Leiche, die in ihrer äußerlichen Erscheinung stark einem Neandertaler ähnelt. Wenig später erhält Nix Unterstützung von dem gehörlosen Max Stiller und seiner Assistentin Sarah, beide Experten auf dem Gebiet für Neandertaler-Forschung. Der Fund eines Massengrabes mit scheinbar vom Verfall unversehrten Knochen wirft die Frage auf, ob es sich hierbei um Gen-Experimente mit dieser längst ausgestorbenen Art handelt. Eine Verfolgungsjagd beginnt.

Wissenschaftsjournalist und Autor Jens Lubbadeh. © Christina Körte / Random House

Zwischen den eher kurzen Lesepassagen erklärt Lubbadeh, was ihn besonders an dieser Neandertal-Thematik fasziniert und wie er gemeinsam mit führenden Persönlichkeiten des Leipziger Max-Planck-Instituts an Ausgrabungen teilgenommen hat. »Wenn wir uns mit den Neandertalern beschäftigen, beschäftigen wir uns auch mit uns selbst«, erwähnt der Autor, als er vom Forschungsdurchbruch im Jahr 2010 erzählt. Dieser bewies ebenfalls, dass wir teilweise vom Neandertaler abstammen und noch immer Spuren davon in unserer DNA tragen.

Mithilfe einer bilderreichen Powerpoint-Präsentation ermöglicht er dem Publikum an diesem Abend spannende Einblicke in die Ausgrabungstechniken und vermittelt Wissen über die Neandertaler. Warum diese ausgestorben sind, ist immer noch ein großes Rätsel. Spekuliert wird viel, besonders inwiefern sich das Wesen der Neandertaler von unserem unterschieden hat – ob sie friedlicher waren und eventuell ganz andere Sichtweisen auf Probleme hatten. Am Ende der Lesung bleibt noch Zeit für einige Fragen an den Autor, zum Beispiel, ob es ethisch vertretbar wäre, den Neandertaler anhand der extrahierten DNA mit der möglichen Gentechnik in der heutigen Welt wiederzubeleben? Lubbadeh verneint das.

Beitragsbild: Autor Jens Lubbadeh (links) und Lektor Pilving (rechts) im Max-Planck-Institut bei der Lesung zu »Neanderthal«. © Ulrike Klemm


Die Veranstaltung: Neanderthal, Moderation: Christiane Bageritz, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, 15.3.2018, 19 Uhr

Das Buch: Jens Lubbadeh: Neanderthal. Heyne, München 2017, 525 Seiten, 14,99 Euro, E-Book 11,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Ulrike Klemm