»Losergestalten sind eigentlich immer gang und gäbe in meinen Texten«

Eine Lesung im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Buchpremieren Leipziger Autoren« in der Leipziger Stadtbibliothek – Roman Israel stellt seinen Roman »Flugobst« vor.

Die Lesung zu »Flugobst« findet im obersten Stockwerk der Leipziger Stadtbibliothek statt. Die etwa 20 Gäste sind bereits frühzeitig erschienen, sitzen schüchtern in den Stühlen und warten auf den pünktlichen Beginn der Lesung. Ungefähr die Hälfte der Anwesenden ist noch keine 30. Vielleicht lassen sie deshalb die ersten drei Stuhlreihen als gebührenden Abstand zwischen sich und dem Leserpult frei.

Erst auf den zweiten Blick ist Roman Israel zu bemerken – adrett, aber nicht overdressed. Ein Romanautor in den Dreißigern mit der erstaunlichen Eigenschaft, nicht viele Worte zu verlieren und schnell auf den Punkt zu kommen. Es wird noch geduldig darauf gewartet, dass die Nachzügler ihre Jacken ablegen und zur Ruhe kommen, dann beginnt die eineinhalbstündige Lesung mit einer kurzen Moderation, in der Autor und Werk vorgestellt werden. Aus der mitgebrachten, zuvor fast unbemerkten Musikanlage ertönt elektronische Musik mit Livegesang von André Seifert, danach beginnt Israel zu lesen und überrascht mit der Lebhaftigkeit, die das erste Kapitel von »Flugobst« enthält.

Ausgehend von einer nüchternen Erzählung über das triste Bergdorf Klarabach nach der Wende verschmelzen die vier Einblicke in verschiedene Teile des Buchs mit den musikalischen Zwischeneinlagen zu einem skurrilen Bild. Die Szenen wirken fremdartig vertraut, wie die Kindheit, von der die Eltern erzählen. Irgendwie ein Hinterhofmärchen, unglaublich, aber irgendwie wahr. Gert, der Geschäftspartner der ersten Hauptfigur Wolf Czeschlak, erwacht zum Leben und gibt eine Vorstellung als Marktschreier, die still für sich gelesen nicht halb so mitreißend ist, wie hier in der Buchlesung vorgetragen.

© Luftschacht Verlag

Auch die Begegnung Andrejs, der zweiten Hauptfigur, mit seinen Schwiegereltern wird nachvollziehbar. Die Schwiegereltern inspirieren zum Fremdschämen, das Publikum kichert verhalten, alles wirkt zwar unromantisch und nüchtern, aber sehr aus dem Leben gegriffen. Und das ist es teilweise auch, verrät Roman Israel. Hier und da inspiriert von Geschehnissen aus einer Kleinstadt, in der er lebte. Trotz allem ist der Entwicklungsroman fiktiv, doch eben mit einer persönlichen Note. Wer sich auskennt, so Israel, kann sogar Sprüche aus dem Talmud in den kleinen Vortexten finden, die am Anfang jedes Kapitels die Handlung auf kryptische Art zusammenfassen.

Der Abend wirkt wie ein Kurzfilm über das ostdeutsche Dorfleben der neunziger Jahre, vom Markt über den raketenbauenden Kleingärtner bis zur Diskothek mit Scheinwerfer. Der Moderator unterbricht das Vorlesen nicht und wartet mit einem kurzen Gespräch bis zum Ende. Er kommentiert, dass die meisten männlichen Charaktere ja nicht wirklich etwas erreichen, der ein oder andere verliert sogar alles. Dazu erklärt Israel: »Losergestalten sind eigentlich immer gang und gäbe in meinen Texten.« Die Frauen hingegen profitieren von der herrschenden Aufbruchsstimmung nach der Wende, seien erfolgreich trotz Schicksalsschlägen, meint der Moderator. Israel erwidert nur: »Das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«

Beitragsbild: Roman Israel. © Zett Photography


Die Veranstaltung: Roman Israel liest aus Flugobst, Stadtbibliothek Leipzig, 28.11.2017, 19 Uhr

Das Buch: Roman Israel: Flugobst. Luftschacht Verlag, Wien 2017, 300 Seiten, 24 Euro, E-Book 11,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Anna Maria Jauch