Leichengeruch

Eine lange Schlange erwartet mich vor dem Kupfersaal direkt neben der Universität in der Leipziger Innenstadt. Daneben fragende Gesichter: »Welcher Star ist denn hier zu Gast?« Die Antwort: Fitze…ääh Michael Tsokos.

Viele der Besucher freuen sich auf DEN Star am deutschen Thriller-Himmel, Sebastian Fitzek. An diesem Samstagabend jedoch spielt sein Freund und Autorenkollege, der Rechtsmediziner Michael Tsokos, die Hauptrolle. Am Eingang kontrollieren Menschen in Medizinerkitteln die Tickets, welche bereits im Voraus ein heilloses Durcheinander anrichteten – wurde der Kupfersaal doch überbucht und 200 Tickets storniert. Auch im Veranstaltungssaal herrscht eine Mischung aus Vorfreude und Unzufriedenheit, weil die Bühne schlecht zu sehen ist. Dann endlich erscheint Michael Tsokos, in der Hand seinen neuesten True-Crime-Thriller »Abgeschlagen«, in dem der fiktive Rechtsmediziner Paul Herzfeld mit Fällen aus der Realität konfrontiert wird.

Auf einen grauenvollen, gruseligen Einstieg warten die Besucher vergeblich. So beginnt Tsokos mit ein paar Witzchen, um die Stimmung zu lockern, bevor er die ersten Passagen aus seinem Buch liest und schließlich die Präsentation einiger – nun ja, sagen wir recht schauriger – Bilder startet. Er zeigt schonungslos Fotos von »echten« Toten, die er in seiner Laufbahn gesehen hat. Nebenbei erklärt er – ganz in Hochschulprofessor-Manier – wie man erkennt, ob ein Mensch ermordet wurde oder es »nur« einen Unglücksfall gab, der zum Tode führte. Zeitweise fühlte ich mich wie im Hörsaal, einem sehr spannenden Hörsaal wohl gemerkt. Tsokos scheint mit dem Protagonisten seines Buches, Paul Herzfeld, dabei eng verbunden – an einigen Textstellen lassen sich sogar autobiografische Züge vermuten.

Der Rechtsmediziner schreibt seine Bücher aber weder aus kommerziellen Gründen noch um seine Bekanntheit weiter zu steigern, sondern um mit den Mythen der fiktionalen Thriller aufzuräumen. Pfefferminzpaste gegen den Geruch im Sektionssaal? »Sowas gibt’s in der Realität nicht, sonst hätte ich wahrscheinlich bereits ein Loch unter der Nase, durch das meine Schneidezähne zu sehen wären«, scherzt Tsokos. Durch seine Erzählungen und Berichte merken die Besucher schnell, dass nicht ausschließlich Brutalität und Bluttaten die Gründe für Übelkeit und Ekel in Sektionssälen sind, sondern vor allem der Geruch von Fäulnis und Tod.

Tsokos (rechts) und Fitzek (links) signieren im Anschluss an die Lesung. © Celine Appenrodt

Das bestätigt auch sein Freund, Bestsellerautor Sebastian Fitzek, welcher erst nach einiger Zeit auf die Bühne kommt, um mit Tsokos gemeinsam einige Passagen von »Abgeschlagen« in verteilten Rollen zu lesen. Fitzek spricht dabei natürlich den Bösewicht. Nach der kurzweiligen, selbstironisch dargestellten Kennenlern-Geschichte zwischen Thriller-Autor und Rechtsmediziner geht die Lesung als Solo-Auftritt weiter. Und das ist auch gut so. Denn auch wenn vermutlich viele Personen im begeisterten Publikum ebenfalls wegen Starautor Fitzek gekommen sind, ist der Star des Abends doch der sympathische Michael Tsokos, der mit trockenem, schwarzem Humor und Sarkasmus durch sein Buch und seine Fälle führt. Einziges Manko ist, dass er bereits mit den ersten Sätzen am Samstagabend den Ausgang von »Abgeschlagen« verrät. Für die neugierigen Leser hoffe ich, dass sie den gemeinten Satz nicht genauso interpretieren, wie ich ihn nach dem Lesen des Buches deuten konnte.

Beitragsbild © Celine Appenrodt


Die Veranstaltung: Buchpremiere von Micheal Tsokos neuem True-Crime-Thriller Abgeschlagen, Gast: Sebastian Fitzek, Kupfersaal Leipzig, 23.3.2019, 20 Uhr

Das Buch: Michael Tsokos: Abgeschlagen. Droemer Knaur, 416 Seiten, 14,99 Euro, E-Book 12,99 Euro


Die Rezensentin: Celine Appenrodt