Eine Lesung über feministisches Kämpfen, Leben und Lieben
Schon länger waren eine Lesebühne, zwei rote Ledersessel und blau angestrahlter Molton nicht mehr so präsent. Und dennoch wollte sich an diesem Abend der Eindruck, auf dem größten Lesefest Europas zu sein, nicht wirklich einstellen. Ein kleiner Trost ist so ein Leseabend in der ausgehenden dritten Welle dann aber doch. Das Werk 2 durfte seine Pforten wieder für die Leipziger Buchmesse öffnen. Auch dieses Jahr zwar nur mit dem abgespecktem Pandemie-Programm “Leipzig liest extra”, doch konnten so immerhin -auch durch die Verlegung der Leipziger Buchmesse ins Mai-Ende- rund 100 Lesungen vor Publikum stattfinden. Einige wenige Autor*innen kamen so doch in die Gunst ihre Neuerscheinungen vor Leipziger Messepublikum vorstellen zu können. Eine von ihnen ist Carolin Wiedemann. Es war ihre erste Live-Lesung mit ihrem Sachbuchdebut »Zart und Frei«, einem radikalen Plädoyer für den Queerfeminismus in Zeiten der rechten Formierung. Die Autorin war sichtlich erfreut über diese Gelegenheit.
Constanze Stutz von der feministischen Zeitung »outside the box« moderierte den Abend, der einige drängende Fragen des Buches aufwarf, aber auch eigene Erfahrungen im Alltag und in der Pandemie aus feministischer Sicht zur Sprache brachte. Die einstündige Lesung wandelte sich in ein Gespräch darüber, wie man in eingeengten, neoliberalen Verhältnissen oder unter einem erstarkenden Antifeminismus radikal feministisch sein und endlich frei und zärtlich werden kann.
Das rund 200-seitige Buch verfolgt den Versuch einer Analyse der andauernden patriarchalen Gewalt und zugleich den Umbrüchen, die sich auf der Welt wie in uns bereits vollzogen haben. Dabei ist Wiedemann immer daran gelegen, den Kapitalismus in ihren Ausführungen nicht auszuklammern, im Gegenteil: Sie spannt auch mal weite historische Bögen, wenn es nötig ist. Das tut sie auch über den Abend und man folgt ihr gerne, auch wenn mal ein Stichwort aus der feministischen Theorie nicht erklärt wird. Kaum hatte der Abend begonnen, so war er auch schon vorbei. Es bleibt zu hoffen, dass dies nicht auch für die neue transnational feministische Bewegung gilt.
Beitragsbild: © Thore Freitag
Die Veranstaltung: Matthes & Seitz, Moderation: Constanze Stutz, Werk 2, 27.05.21, 20-21h und online auf Youtube
Das Buch: Carolin Wiedemann: Zart und frei. Vom Sturz des Patriarchats. Berlin: Matthes & Seitz 2021, 218 S., 20 €
Der Rezensent: Thore Freitag