Auch die Unabhängigen Verlage präsentieren sich 2018 wieder bei Leipzig Liest. Im Westflügel finden dazu am Messefreitag von 20 Uhr bis nach Mitternacht Lesungen statt.
Der Bullerofen im Westflügel-Café »froelich & herrlich« flackert und dreht sich gewohnt-ungewöhnlich um die eigene Achse, an der Theke wird Wein ausgeschenkt und der Raum ist gut gefüllt. Eigentlich ist das hier der Normalzustand an einem Freitagabend, nur, dass das Publikum heute noch zahlreicher und auf weit mehr Plätzen verteilt ist als sonst und, dass rechterhand eine kleine Bühne mit Tisch aufgebaut wurde. Auch oben, im Bühnenraum des großen Saales, steht heute ein Tisch mit Leselampe, denn der Westflügel ist wieder Gastgeber für zahlreiche unabhängige Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Dieses Jahr sind mit Matthias Senkel, Matthes & Seitz Berlin, und Isabel Fargo Cole, Nautilus, auch zwei Nominierte für den Preis der Leipziger Buchmesse im Westflügel zu Gast. Als Letztere kurz nach 22 Uhr beginnt, aus ihrem Roman »Die grüne Grenze« vorzulesen, kommt bedauerlicherweise eher Enttäuschung auf – der Text mag wunderbar sein, aber seine Autorin trägt ihn so leidenschaftslos vor, dass er in Coles Stimme gewissermaßen verloren geht. Das mag allerdings auch am Kontrast zur kurz zuvor noch lesenden Milena Michiko Flašar liegen, welche geübt, deutlich und mit dezentem Wiener Schmäh aus ihrem Roman »Herr Katō spielt Familie« vorträgt, ein Auszug voll melancholischem Charme und scharfer Alltagsbeobachtung. Im anschließenden Gespräch mit Moderator Jan Kuhlbrodt kommt Michiko Flašar auf das sogenannte »Retired Husband Syndrome« zu sprechen, ein interessanter Fokus ihres Romans. Leider stört Kuhlbrodts Moderation immer wieder mit Witzen über den Sprach- und Kulturunterschied zwischen ihm und den drei im Programmblock »Chamisso 2.0« lesenden Autoren. Einen Gag wie »Frau Michiko Flašar aus Wien, wie der Name schon nahelegt« oder »Wie würdest du deinen Namen aussprechen?« – »Wei Zhang« – »Ah ja …« kann man ja mal machen, aber in der Menge ist sein monothematischer Humor an diesem Abend einfach nur störend und das daraufhin immer anhaltende, gefällige Gelächter des Publikums für mich völlig unverständlich.
Im Fall ebenjener Wei Zhang ist das von ihr gewählte Romanthema Kulturrevolution spürbar ergiebig, ihre verworrenen Verwandtschaftsverhältnisse verliert man beim Zuhören aber schon nach wenigen Minuten aus den Augen. Auch die Schlusspointe des von ihr gewählten Auszugs geht akustisch leider in ihrem chinesischen Akzent unter. Jan Kuhlbrodt macht im anschließenden Gespräch erst noch einen interessanten Vergleich von Zhangs Roman zum Verschwinden als Phänomen beim sowjetischen Schriftsteller Juri Trifonow auf, dessen positiven Eindruck er mit der nächsten Anmoderation jedoch gleich wieder einreißt: »Ich würde sagen, lies doch mal was vor!« Danke, aber dafür brauchen wir hier keinen Moderator! Doch genug Kritik an diesem einen Teilnehmer des Abends, die anderen beiden Moderatoren Wolfgang Frömberg und Christine Koschmieder treten bei ihren Programmblöcken dafür umso souveräner auf und mit der in Leipzig angesiedelten Geschichte »nichts, was uns passiert« – dem Debütroman von Bettina Wilpert – ist im letzten Teil des Abends eine der eindrucksvollsten Veröffentlichungen der diesjährigen Buchmesse vertreten. Die Unabhängigen Verlage präsentieren sich insgesamt wie immer wundervoll und machen schon jetzt Lust auf das kommende Jahr!
Beitragsbild: Der Lesungstisch im großen Saal des Westflügels vor Beginn der ersten von insgesamt achtzehn Lesungen. © Westflügel Leipzig
Die Veranstaltung: UV – die Lesung der unabhängigen Verlage, Westflügel, 16.3.2018, 20 Uhr
Der Rezensent: Maximilian Enderling