Thomas Stangl stellt im Österreichischen Kaffeehaus seinen Roman »Fremde Verwandschaften« vor.
Inmitten von Halle 4 des Leipziger Buchmessegeländes wartet auf den ausgezehrten Messebesucher eine unverhoffte Oase des Genusses. Ein Rückzugsort für all jene, die eine kurze Verschnaufpause vom Trubel der langen Messetage brauchen. Denn wenn man die enorm lange Schlange und horrenden Preise in Kauf nimmt, lässt sich hier im Österreichischen Kaffeehaus bei Melange und Sacher-Torte feinste, nahezu authentische Wiener Kaffeehauskultur genießen. Betonung auf nahezu. Und ganz nebenbei gibt es noch ein Sahnehäubchen der aktuellen Österreichischen Literatur.

Trotzdem, oder vielleicht grade deshalb, ist es schwer zu sagen, ob sich der gebürtige Wiener Thomas Stangl hier wohlfühlt. Bescheiden nickt er ein, zwei lobpreisende Zitate ab, die der Moderator ihm bei seiner Vorstellung entgegenwirft. Doch so wirklich will er nicht hinein passen in das lärmige Ambiente voller schnabulierender, schlürfender und schnatternder Kaffeehausgäste. Ähnlich fehlplatziert wie der Autor wirkt auch sein Werk »Fremde Verwandtschaften« in diesem Szenario. Inhaltlich sowie stilistisch zu verworren für einen wuseligen Messestand ist die Passage, die Stangl zum Besten gibt. Kein Wunder, dass der Wiener-Schnitzelbrötchen vertilgende Neuankömmling am äußeren Tisch so verdutzt dreinschaut, als Stangl beginnt sich durch seine Schachtelsätze zu hangeln. Selbst für den Moderator war die Vorbereitung auf den Roman wohl reichlich konfus. So grätscht er mit seinem ersten Versuch die Handlung des Buches zu beschreiben gleich zielsicher daneben. Er behauptet, dass der Protagonist sich auf der Afrikareise, die dieser im Buch antritt, selbst finden würde. Da sieht sich Stangl gezwungen, ihn sachte zu korrigieren und erklärt, dass sich der Protagonist im Laufe der Geschichte eigentlich eher verliere.
»Fremde Verwandtschaften« handelt von einem österreichischen Architekten, der sich beruflich auf eine Reise nach Afrika begibt. Aussagekräftig für Stangls Stil ist, dass es über diesen Satz hinaus bereits schwer ist, die Handlung weiter zu beschreiben, so unkonventionell und eigen ist die Erzählweise des Autors. Der Protagonist verliert sich und entdeckt sich zugleich neu. Er ist einerseits fasziniert von Strukturen und Netzwerken, wie sie beispielsweise durch U-Bahn-Systeme verkörpert werden. Anderseits beschreibt das Buch den Entkopplungsprozess der fixen Verortung des Protagonisten von seinem persönlichen Koordinatensystem, dass durch seine Identität als Vater, Sohn, Ehemann, Europäer und Architekt bestimmt ist. Stangl sagt, dass er versucht habe, ein Geflecht von Bildern und Räumen ineinander zu schieben. Das ist ihm in bewundernswerter Form gelungen. Für Geschichten wie diese ist wohl das Prädikat kafkaesk erfunden worden. Das wird unterstrichen dadurch, dass die Erzählung mit einem Auszug aus Kafkas Werk beginnt. Nur Eines wird an diesem ersten Messetag schnell klar: »Fremde Verwandtschaften« ist ein Buch zum Lesen und keines zum Vorlesen. Und erst recht keines zum Vorlesen in einem provisorischen Kaffeehaus inmitten des Buchmessewahnsinns.
Beitragsbild: Thomas Stangl liest aus seinen Roman © David Seeberg
Die Veranstaltung: Thomas Stangl »Fremde Verwandtschaften«, Österreich Kaffeehaus, 15.3. 2018, 14.30 Uhr
Das Buch: Thomas Stangl: Fremde Verwandtschaften, Droschl Verlag, Wien 2018, 272 Seiten, 22,00 Euro, auch als E-Book erhältlich
Der Rezensent: David Seeberg