Im Werk 2 wird »Blasse Helden« vorgestellt, ein Roman, der Einblicke in das Russland der neunziger Jahre gibt, eine Zeit im Umbruch und eine Zeit, die den Aufstieg Vladimir Putins ebnete.
Die große Leuchttafel am Eingang des ehemaligen Fabrikgeländes zeigt bereits an, warum die Besucher den Weg durch die eisigen Temperaturen und Schneestürme auf sich genommen haben: Arthur Isarins Roman »Blasse Helden« soll an diesem Abend vorgestellt werden. Sichtlich erfreut über die Wärme in der Halle nehmen die reichlich erschienen Zuschauer Platz. Dass sie nicht bloß eine Lesung der interessantesten Passagen aus diesem vielseitigen Buch erwartet, deutet sich bereits beim Blick auf die Bühne an. Hier stehen nicht nur ein, sondern gleich vier Stühle bereit.

Bald darauf treten dann auch die Protagonisten des heutigen Abends ins Scheinwerferlicht: Der Schauspieler Benno Fürmann, der das Vortragen der Textpassagen übernehmen wird, der russische Autor Viktor Jerofejew, die ehemalige Russlandkorrespondentin und FAZ-Redakteurin Kerstin Holm und die Verlegerin Elisabeth Ruge, die durch den heutigen Abend führt. Nur einer fehlt: der Autor Arthur Isarin selbst. Dass er den Zuschauern vorenthalten bleibt, ist allerdings keine große Überraschung. Bei dem Namen des Schriftstellers handelt es sich nämlich um ein Pseudonym. Die einzigen Informationen, die der Verlag über ihn bereitstellt, sind sein Geburtsdatum und Ort, 1965 in München, und dass er nach seinem Studium der Philosophie, Politik und Ökonomie weitverstreut in der Welt gelebt hat, bis er über England, Kasachstan und Russland schließlich in Australien landete.
Doch um ihn soll es ja auch nicht gehen an diesem Freitagabend, sondern um sein Erstlingswerk, was von Elisabeth Ruge gleich zu Beginn als »Buch der Stunde« angepriesen wird. Nach Schlagzeilen von Giftanschlägen auf ehemalige russische Spione, mutmaßliche Verstrickungen in die USA sowie die anstehenden russischen Wahlen, zeigt sich jedoch tatsächlich die Aktualität dieses in den Wendejahren spielenden Romans. Auf knapp 300 Seiten begleitet der Leser den Protagonisten Anton, einen deutschen Rohstoffhändler, der im Moskau der damaligen Zeit nach Aufregung, Ablenkung und Abenteuern sucht. Durch seine teils zynische, interessierte, aber oft auch leichtsinnig-naive Brille erleben wir eine Zeit, in der alles möglich scheint, die Kultur aufblüht, aber auch Straßen mit Barrikaden gepflastert werden und viele Russen innovativ sein müssen, um abends ihre Teller füllen zu können.
In vier Teilen werden uns seine Erlebnisse im Werk 2 von Benno Fürmann vorgetragen. Nach jeder dieser Passagen wendet sich Elisabeth Ruge an die zwei anderen Gäste der Veranstaltung und fragt sie nach ihren Erfahrungen und Einschätzungen der jeweils beschriebenen Situationen und Ereignisse. Der Einblick in die tatsächlichen Erlebnisse dieser Zeit und Gesellschaft spiegelt das Gefühl der Authentizität des Romans. Denn sowohl Kerstin Holm, als kritische Betrachterin von außen, als auch der russische Autor Jerofejew stützen mit ihren Ausführungen die Beobachtungen, die der Protagonist Anton macht.
Die beiden Gäste verdeutlichen, was für ein komplexes und widersprüchliches Land Russland war und noch immer ist. So erfahren die Zuschauer an diesem Abend, dass die Korruption in Russland lange Tradition hat und positiv betrachtet wird, als Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Oder dass russische Frauen stark und intelligent sind und trotzdem die sogenannte »Luderwissenschaft« in dieser Zeit florierte, eine Ausbildung darin neureiche Oligarchen zu verführen.
Viele Aspekte werden dabei an diesem Abend behandelt und man kann gut verstehen, wieso der Autor sich gerade dieses Thema für seinen Debütroman erwählt hat. Und so fasst Viktor Jerofejew treffend zusammen, was den besonderen Reiz dieser Welt ausmacht, indem er sagt: »Russia is a writer’s paradise, because it’s such a big mess!«
Beitragsbild (v.l.n.r.): Kerstin Holm, Viktor Jerofejew, Elisabeth Ruge und Benno Fürmann diskutieren Arthur Isarins Roman »Blasse Helden«. © Nicola Seele
Die Veranstaltung: Benno Fürmann liest aus Blasse Helden, Moderation: Elisabeth Ruge, Werk 2, 16.3.2018, 19.30 Uhr
Das Buch: Arthur Isarin: Blasse Helden. Albrecht Knaus Verlag, München 2018, 320 Seiten, 22 Euro, E-Book 17,99 Euro
Die Rezensentin: Nicola Seele