Die Lesung von Najem Wali aus seinem neuen Roman »Saras Stunde« ist abgesagt. Es folgt eine Rezension zum Buch.

»Wirklich schade!«, denke ich mir, als ich ins Programm von Leipzig liest schaue: Lesung abgesagt! Eigentlich sollte ich jetzt gerade in der Plagwitzer Bibliothek »Georg Maurer« sitzen und der Stimme Najem Walis lauschen, der seinen neuen Roman »Saras Stunde« vorträgt. Dabei habe ich gerade dieser Lesung so entgegengefiebert, denn das Buch hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Die Geschichte von Sara, einer jungen Frau aus Saudi-Arabien, handelt von Rebellion, Selbstbestimmung und Befreiung. In diesem Land, in dem Frauen in den neunziger Jahren Menschen zweiter Klasse sind. Doch Sara zeigt schon bei ihrer Geburt Selbstbestimmtheit, denn sie kommt viel zu früh und zu schnell auf die Welt. Von da an nimmt sie ihr Schicksal in die eigene Hand.
Als Tochter eines reichen Geschäftsmannes ist sie eigentlich überaus privilegiert, der Liebling des Vaters, eigene Hausangestellte, Shopping so viel sie will. Und doch liegt scheinbar schon immer ein dunkler Schatten über ihrem Leben. Ihr Onkel – ein Scheich und Chef der »Behörde für die Verbreitung der Tugendhaftigkeit und der Verhinderung von Lastern« – ist ein Glaubensfanatiker. So versucht er durch Intrigen und Manipulation die »Sünderin« Sara zu brechen. Auch der Krieg spielt eine subtile, jedoch immer präsente Rolle im Roman. 1990 fällt die irakische Armee in das Nachbarland Kuwait ein, ein lebenseinschneidendes Ereignis für die junge Sara. Als der Krieg kommt, verschwinden die Vögel und mit ihnen Saras beste Freundin Alhanuf, mit der sie den Traum teilte, einmal in einer ausländischen Stadt zu studieren und frei zu sein.

Saras Onkel ist die Personifikation der scheinheiligen Männergesellschaft Saudi-Arabiens, die sich auf den Glauben stützt, um ihre eigene Unsicherheit und ihr Unvermögen zu überspielen. In dieser Welt wächst Sara trotz allem zu einem selbstbestimmten Mädchen heran. Mit 14 soll sie dann an ihren Cousin verheiratet zu werden, mit dessen Hilfe sie einen Plan schmiedet, um ihren Onkel als den Heuchler bloßzustellen, der er ist.
Es ist ein eindrücklicher Einblick ins »Königreich der Finsternis«, den Najem Wali mit einer literarischen Kunstfertigkeit zu weben weiß, die zu bewundern ist. Er schafft es gekonnt mit seiner poetischen Sprache eine Atmosphäre des Wiedererkennens, der Identifikation zu erzeugen und den Leser doch auch in eine andere Zeit und Welt zu entführen. Ein Roman, der mit dem Geheimnisvollen spielt: Philosophie, Realität und Fiktion treffen hier aufeinander. Najem Wali zeigt in seiner Erzählung, wie Frauen in Saudi-Arabien leben: »im Kampf gegen Stein mit einem Körper aus Glas, dort im Königreich des Sandes«. Nur zu gerne hätte ich ihm dabei gelauscht.
Beitragsbild: Das Buch. © Sophia Wurm
Die Veranstaltung: Najem Wali liest aus Saras Stunde, Bibliothek Plagwitz Georg Maurer, 15.3.2018, 19.30 Uhr, abgesagt.
Das Buch: Najem Wali: Saras Stunde. Carl Hanser Verlag, München 2018, 352 Seiten, 23 Euro, E-Book 16,99 Euro
Die Rezensentin: Anna Sophia Wurm