Der Kommunismus – vom Ursprung bis zum Niedergang. Gerd Koenen präsentiert seine neueste geschichtliche Abhandlung im Haus des Buches Leipzig.

Das Literaturcafé: Ohne großen Pomp, abgesehen von der Überheizung, aber kein Kneipenambiente: Mineralwasser schenken sie hier in Weingläser aus. Stäbchenparkett und Farngewächse, dazu viele Fenster, hinter denen Januardunkelheit die Raumbeleuchtung kontrastiert. Das Logo der Friedrich-Ebert-Stiftung ragt lesezeichengleich hinter zusammengeschobenen Cafétischen empor – hier werden Koenen und der Moderator Holger Mann sitzen. Der Autor erscheint in Hemd, Thermoweste und Jackett, ohne Krawatte, ordentlich, aber nicht zu fein. Er wirkt vertrauenserweckend wie ein gutmütiger Lehrer.
Nachdem Rentner mir mit einem wohlwollenden »vorerst nur geliehen« den letzten Stuhl an ihrem Tisch zugestanden haben, eröffnet der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen den Abend. Er scheint seine Inspiration mit starrem Blick seinem Exemplar von Koenens Buch zu entziehen, doch entlarvt er durch ungeschicktes Wenden seinen verborgenen Spickzettel. Flugs gibt er an den besser vorbereiteten Moderator weiter, der zur Lesung überleitet. Koenen sieht sich nun gezwungen, einen Teil des Buchanfangs vorzulesen, was er eigentlich vermeiden wollte. Warum? Das eingängig zu lesende Buch eignet sich weniger als Vortragswerk, da viele Fachbegriffe die langen Sätze im reinen Hörverstehen schwer nachvollziehbar machen. Deshalb schiebt der Autor Erklärungen ein und verdeutlicht seine Ausführungen mit Gesten. Seine Vortragsweise ist sicher, die Handbewegungen wirken wie an einen unsichtbaren Gesprächspartner gerichtet, seine Augen suchen das Publikum. Ich komme mir vor wie in einer guten Geschichtsvorlesung, deren Inhalt erst durch Nachbereitung vollends nachvollziehbar wird. Bei einem der Einschübe merkt er lächelnd an, der ohnehin schon über 1.000 Seiten zählende Text sei vom Verlag leider gnadenlos gekürzt worden. Danach zieht er fröstelnd das Jackett enger um den Brustkorb – er ist wohl der Einzige, den sein Vortrag kalt gelassen hat. Das Publikum ist bei der Sache geblieben und in seiner Konzentration nur von den üblichen ungelegenen Anrufen gestört worden.

Nach der Lesung folgt die Diskussion. Manns Fragen lassen Koenen Fahrt aufnehmen und ganz Geschichtenerzähler werden: Er hat sichtlich Freude am Gespräch über seinen Lebensinhalt – denn »Die Farbe Rot« ist weder das erste, noch soll es das letzte seiner Bücher über den Kommunismus gewesen sein. Nun lässt Koenen Mann seine Fragen kaum noch zu Ende formulieren und wirkt wie ein begeisterter Frickler, der dem Publikum Einblicke in seinen Hobbykeller gewährt.
Anschließende Publikumsfragen beantwortet er ebenso gern. Verschmitzt lächelnd bekennt er: »Ich finde den Monopolkapitalismus im Grunde sozialistisch. Ich kann in jede große Einkaufsstraße der Welt gehen – ich finde kein schön gemustertes Hemd; ich finde überall dasselbe.« Er holt weit aus, um über unser Jetzt zu sprechen, »aber das sind alles nur historische Zitate, daran sollte man nicht allzu viel aufhängen, man muss für sich selber denken!« Und ich denke für mich selbst: Das war ein guter Abend.
Beitragsbild: Holger Mann (links) betrachtet Gerd Koenen (rechts) beim Blättern. © Kai Clever
Die Veranstaltung: Die Zukunft war anders, Buchpräsentation von Gerd Koenens Die Farbe Rot, Moderation: Holger Mann, Haus des Buches Leipzig, 30.1.2018, 19 Uhr
Das Buch: Gerd Koenen: Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus. C.H.Beck, München 2017, 1133 Seiten, 38 Euro, E-Book 38 Euro
Der Rezensent: Kai Clever