Einstürzende Stalin-Bauten

Wie viele Punks darf es im Sozialismus geben? Dieser und anderen Fragen geht Alexander Pehlemann mit seinen Gästen Agata Pyzik und Aneta Panek im schummrigen Saal der naTo auf den Grund.

Schallplatte zum Buch © Anneke Schmidt

Da sitzen gleich zwei Frauen auf der Bühne, ein Bild, das sich in der Punk-Szene selten zeigt. Der heimelig dunkle Saal der naTo ist brechend voll, einige werden die Veranstaltung stehend, an die Wand gequetscht verfolgen. Dabei sehen die Menschen im Alter von 20 bis 70 Jahren nicht unbedingt aus wie leidenschaftliche Fans von Punk Musik – doch um die geht es. Das Buch »Warschauer Punk Pakt«, das Pehlemann herausgegeben hat, erzählt vom Punk im Ostblock, zwischen 1977 und 1989. Weil man über Musik zwar schreiben, damit aber nicht alles über sie sagen kann, gibt es auch eine gleichnamige Schallplatte.

Nun sitzen drei am Buch Beteiligte auf der Bühne, um in Wort, Bild und Musik ein Lebensgefühl zu vermitteln, dass der Punk-Szene in der westlichen Welt so ähnlich und fremd zugleich ist. »Hier sah ich wahrhaftige Rebellion. Punk-Sein im Osten hatte nichts mit den Fashion-Punks in Großbritannien gemein. Das war wahrer Widerstand im Underground« – dieses Zitat des britischen Musikers Mark Reeder ziert den Klappentext des Buches. Er könnte damit den jungen Mann beschrieben haben, dessen ernst dreinschauendes Gesicht das Cover prägt: die Hand zur Faust geballt, den Blick nach vorne gerichtet, während hinter ihm ein blutrotes Gebäude umstürzt. Nicht irgendein Gebäude, sondern der Warschauer Kulturpalast, damals noch Kultur-und-Wissenschaftspalast Josef Stalin.

Alexander Pehlemann © Alexander Pehlemann

Erstaunlicher Weise findet sich diese Widerstands-Romantik im Gespräch nicht wieder: Die polnisch sprechende Agata erzählt von den fehlenden Frauen, gerade im Ostblock-Punk, die höchstens mal als hübsche Frontfrauen positioniert wurden. Über die patriarchalen und konservativen Züge des Reggaes, der die polnische Punkmusik stark prägte. Über den Rechtsrock, der sich aus dem anti-kommunistischen Punk entwickelte. Kurz bevor die Gitarrenmusik, die weltweit Generationen jungen Widerstands begleitet, völlig entzaubert wird, springt Aneta ein. Auch sie sieht den Punk nicht unkritisch, sagt aber mit samtweicher Stimme, die Herzen dahinfließen lässt: Vielleicht sei sie naiv, aber für sie bedeute Punk auch »eine Unschuld, die jede Falschheit gleich erkennt«.

Den Rest des Abends – welcher sich bis nach Mitternacht ziehen wird – wird hauptsächlich gefachsimpelt. Auch Punk-Fans sind Nerds. Es fallen Bandnamen, die vermutlich niemand im Publikum je gehört hat, es werden Anekdoten erzählt und Idole beschworen. Dennoch, durch die Bildershow, Musikvideos und das Reinhören in einzelne Songs sind am Ende irgendwie alle eingebunden. Das hat etwas Versöhnliches: Auch der Punk ist nicht perfekt. Aber er ist eine große, »dem Zeitgeist gemäß sich nicht in Optimismus ertränkende« Familie, zu der an diesem Abend auch die Zuhörerinnen und Zuhörer gehören.

Beitragsbild: Der Übersetzer (links) verrät dem Publikum, was Agata Pyzik (zweite von links) auf Polnisch erzählt, während Aneta Panek (zweite von rechts) Deutsch spricht. Alexander Pehlemann (rechts) ist der Herausgeber. © Anneke Schmidt


Die Veranstaltung: Warschauer Punk-Pakt, Multimedia-Buchvorstellung, die naTo, 17.3.2018, 22 Uhr

Das Buch: Alexander Pehlemann (Hrsg.): Warschauer Punk Pakt. Punk im Ostblock 1977–1989. Ventil Verlag, Mainz 2018, 320 Seiten, 25 Euro


 

 

Die Rezensentin: Anneke Schmidt