Ein Wolf ist auch nur ein Mensch

Grit Poppe liest aus ihrem neuen Kinderbuch »Joki und die Wölfe« und kämpft gleichzeitig gegen Vorurteile über die scheuen Raubtiere.

Auf dem Weg zur Bibliothek Gohlis fegt mir der Wind kleine Schneeflocken ins Gesicht. Dass in unseren Kalendern Mitte März steht, interessiert die Natur nicht. Ebenso wenig achtet sie auf die Ängste und Zweifel mancher Menschen, wenn sie die Wölfe zurück nach Deutschland schickt. Lange wurden sie hier verfolgt und getötet, waren schließlich ganz ausgerottet. Um die Jahrtausendwende fand dann das erste Rudel seinen Weg zurück in die Lausitz. Seitdem steht der Konflikt nicht still: Begrüßen wir mit den Wölfen faszinierende Wildtiere oder fürchten wir sie als gefährliche »Beutegreifer«? Dieser und anderen Fragen geht Grit Poppe in »Joki und die Wölfe« nach.

Als ich zum Lesungsraum gehe, ist mein Mitpublikum bereits nicht zu überhören. Etwa 20 Fünftklässler eines Leipziger Gymnasiums wuseln durcheinander, rufen quer durch den Raum, halten ihre Schreibblöcke auf dem Schoß bereit. Die Autorin Grit Poppe ist auf den ersten Blick gar nicht zu sehen, doch als sie sich schließlich in Position setzt, verstummt die Klasse. Poppe spricht nicht besonders laut, fast ein bisschen monoton, doch sie bringt die Schüler auf diese Weise zum Zuhören. Nach einem kurzen Video über das Leben der Wolfskinder – entzücktes Quieken beim weiblichen Teil des Publikums – führt die Autorin kurz in die Handlung ihres Buches ein.

© Peter Hammer Verlag

Joki ist zehn Jahre alt und zieht mit seiner Mutter auf den Bauernhof seines neuen Stiefvaters Knut. Aber anstatt Umzugskisten auszupacken oder den Kuhstall auszumisten, unternimmt er lieber Streifzüge durch den Wald. Als er dort Schwarzohr, einen verloren gegangenen Wolfswelpen, findet, ist nichts mehr wie vorher. Joki beschließt, den kleinen Wolf zu seiner Familie zurückzubringen. Und so stürzen sich die beiden in ein Abenteuer, das ihrer beider Kindheit für immer verändern wird. Das Besondere: Poppe erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Wolf und Mensch. So werden die Tiere zu gleichwertigen Protagonisten, ihre Empfindungen und Reaktionen wiegen ebenso schwer wie die Jokis. Genau wie er verfolgt das Rudel seine eigenen Ziele und versucht nach dem Verlust von Schwarzohr, genug Abstand zu den Zweibeinern zu gewinnen. Der Autorin gelingt es, die Familienbande und Instinkte der Wölfe emotional zu beschreiben, ohne dabei in realitätsarmen Disney-Kitsch zu verfallen. Und auch wenn die Aufmerksamkeit der Schüler nicht während der gesamten Lesung erhalten bleibt, als Fragen gestellt werden dürfen, schießen alle Hände in die Luft: »Sind Sie schon mal einem Wolf begegnet?« – »Was wollen Sie den Menschen mit dem Buch vermitteln?« – »Werden Sie noch eine Fortsetzung schreiben?« Und, einer meiner Favoriten: »Haben Sie auch einen richtigen Beruf oder schreiben Sie nur Bücher?« Grit Poppe behält ihr gelassenes Pokerface, beantwortet die Fragen aber ausführlich und mit Sorgfalt. Ihre Sympathie für die Wölfe, die übrigens sehr scheue (und eher faule) Tiere sind und Menschen am liebsten weit aus dem Weg gehen, ist spürbar. Und mit »Joki und die Wölfe« ist ein Buch entstanden, das der kommenden Generation Lust macht – Lust auf mehr Natur, mehr Ursprünglichkeit, mehr Wolf.

Beitragsbild: Die Autorin Grit Poppe. © Alexandra Huth


Die Veranstaltung: Grit Poppe liest aus »Joki und die Wölfe«, Bibliothek Gohlis, 16.3.2018, 11 Uhr

Das Buch: Grit Poppe: Joki und die Wölfe. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2018, 256 Seiten, 14 Euro, E-Book 10,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Alexandra Huth