Ein jüdisches Disneyland?

Eine Lesung mit Eva Gruberová und Helmut Zeller aus ihrem Buch »Taxi am Shabbat. Eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas.«

Es ist ein Sonntagnachmittag an dem sich Interessierte in dem unscheinbaren Ariowitsch-Haus im Waldstraßenviertel einfinden, um Eva Gruberová und Helmut Zeller von ihrer Reise zu den letzten Juden Osteuropas lesen zu hören. Das Ariowitsch-Haus gilt als Begegnungsstätte der jüdischen Gemeinde in Leipzig und eignet sich somit hervorragend für die bevorstehende Lesung. Unter den Wartenden sind vorrangig ältere Gesichter zu sehen. Man kennt sich hier und überbrückt die Zeit mit Gesprächen über vergangene Feste und dem letzten Gang in die Synagoge. Der Raum füllt sich schnell und so müssen Stühle von überall her geholt werden, um jedem Besucher einen Sitzplatz zu ermöglichen. Hier ist schon gut zu erkennen, wie groß das Interesse an dem im Buch behandelten Thema ist. Gruberová und Zeller begeben sich zu ihrem Tisch. Gruberová arbeitet als freie Journalistin, Filmautorin und Referentin, ihr Ehemann Zeller ist Leiter der Dachauer Redaktion der Süddeutschen Zeitung. Sie leben zusammen in Dachau.

© Verlag C.H.Beck

»Schön, dass sie so zahlreich erschienen sind. In Bayern schlafen die Leute gerne am Nachmittag«, witzelt Zeller, der ursprünglich aus Bayern stammt. Gruberová erklärt zunächst die Vorgehensweise, die beide für die Lesung vorgesehen haben. Das Buch besteht aus sieben Kapiteln, jedes davon behandelt jeweils ein bereistes Land. Heute beschränkt sich die Lesung auf drei Länder: Polen, Slowakei und die Ukraine. Gruberová beginnt von Krakau zu lesen. Sie berichtet, wie man dort an fast jeder Ecke jüdisches Essen bekommen kann, Touristenbusse täglich nach Auschwitz pendeln und Läden allerhand Kitsch anbieten. Die Einheimischen nennen ihre Stadt in Verbindung mit dieser Prozedur ganz gerne »jüdisches Disneyland« und im Grunde genommen sind Gruberová und Zeller gekommen, um dieses »Disneyland« zu hinterfragen. Wie ist das Leben für die Juden in den osteuropäischen Ländern? Wie nahmen jüdische Einwohner die Zeit nach 1945 wahr und wie ist es beispielsweise in einer modernen Stadt wie Krakau jüdisch zu sein? Die Antwort, die das Journalistenehepaar oft zu hören bekommt: Es sei hip Jude zu sein.

»Heute ist es cool, wenn man unter seinen Freunden einen Schwarzen, einen Schwulen und einen Juden hat«, witzelt ein Befragter im Buch. Doch hinter dieser Fassade steckt etwas anderes, vor allem viel Unerfreuliches, was im Laufe der Lesung immer deutlicher wird. Mit der Niederlage der deutschen Besatzer hörte der Hass auf die Juden nicht auf. Gruberová und Zeller lesen abwechselnd von Episoden, die bedrücken. Angriffe auf jüdische Kinderheime, Einbrüche, ukrainische Kinder jüdischen Glaubens, die nur in Schulbussen mit verdunkelten Scheiben zu ihrer jüdischen Schule in Odessa fahren können. Hinzu kommen die Berichte der »Alten«, die die Journalisten in einem Altersheim in der Slowakei aufschnappen. Dort können die alltäglichen Abendnachrichten bereits Depressionen auslösen, wenn die Bewohner sehen, was die slowakischen Neonazis im Parlament fabrizieren. Gibt es dort doch viele, die ihren Schmerz in Form einer Auschwitzer Nummer auf dem Unterarm nach außen sichtbar tragen.

Es sind diese und viele weitere Begegnungen, die Gruberová und Zeller in ihrem Buch eindrücklich festhalten. Beide lesen mit sanfter, teils bedrückter Stimme. Die Teilnahme an den einzelnen Schicksalen macht ganz deutlich, dass sie jede der vorkommenden Personen persönlich getroffen haben. Nicht selten kommt es vor, dass einige Köpfe im Publikum heftig nicken. Während der Lesung schafft es das Ehepaar, die im Buch teils trockenen Textpassagen lebendig zu gestalten und so ist es ein wahrer Genuss den Beiden zuzuhören. Sie wollen auf den Antisemitismus und den wiederkehrenden Hass auf die jüdische Bevölkerung in den osteuropäischen Ländern aufmerksam machen. Einige Antworten der Interviewten wirken ein wenig zu sehr in dieses Vorhaben gepresst.

Dennoch ist dieses Buch von großer Aktualität und bildet einen gekonnten Querschnitt durch die jüdische Bevölkerung der meisten osteuropäischen Länder. Es zeigt Probleme und Kontroversen auf, aber auch positive Seiten, wie Einrichtungen für jüdische Kinder, gerade in einem Kriegsgebiet wie der Ukraine. Wie politisch und kontrovers das Thema ist, macht die abschließende Gesprächsrunde klar. Von Martin Luther als Judenhasser bis hin zu Verschwörungstheorien, dass die Christen Judenverfolgte wären, ist alles dabei. Diese Reaktionen waren bei solch einem hoch brisanten Thema jedoch zu erwarten und tun der Wirkung dieser hervorragenden Lesung keinerlei Abbruch. Es bleibt zu sagen: Journalistisch einwandfreie Berichte, bewegende Geschichten und ein bereichernder Nachmittag.

Beitragsbild: Eva Gruberová (links) und Helmut Zeller (rechts) nach der Lesung. © Maxi Rauschenbach


Die Veranstaltung: Taxi am Shabbat. Eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas, Lesung mit Eva Gruberová und Helmut Zeller, Ariowitsch-Haus Leipzig, 28.1.2018, 15 Uhr

Das Buch: Eva Gruberová und Helmut Zeller: Taxi am Shabbat. Eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas. C.H.Beck, München 2017, 271 Seiten, 18 Euro, E-Book 14,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Maxi Rauschenbach