Ein Dreigespann als Symbiose des Humors

Eine gemütliche Frühschoppen-Lesung mit Literatur bei Weißwurst und Bamberger Bier.

Wenn sich jemand früh an diesem eiskalten Samstagmorgen einen Weg durch das Schneegestöber bahnt, muss das einen triftigen Grund haben. Die Frühschoppen-Lesung in der Galerie ARTAe ist so einer. So verspricht die Veranstaltung nicht nur ein hervorragendes Frühstück aus Bamberger Bier, Brezeln, Weißwurst und Obazda, sondern bietet mit gleich drei Autoren auch eine facettenreiche Unterhaltung. Also ab durch den wiedergekehrten Winter in den Leipziger Norden.

Jürgen Roth. © Aufbau Verlag by Zoe Classen

In einem Mietshaus aus der Gründerzeit gelegen, inklusive Dielen und Stuck, hat die Galerie ARTAe ihren Sitz. Nur anstatt Mobiliar gibt es, zumindest heute, stilsicher: Biertischgarnituren und eine Zapfanlage im Flur. In der Galerie angekommen, wartet, nach freundlicher Begrüßung, auch schon die Wiedergutmachung des beschwerlichen Weges: Bier zum Frühstück. Ich möchte die Literatur nicht in den Hintergrund drängen, aber dieses Bier ist wirklich köstlich.

Es lesen Michael Bittner, Thomas Kapielski und Jürgen Roth. Nach einer Einleitung der Veranstalterin beginnt Thomas Kapielski mit einer kurzen Geschichte. Die Autoren lesen abwechselnd kurze, mehr oder weniger zusammenhängende Geschichten und Anekdoten aus verschiedenen Werken. Dies bringt, gepaart mit der äußerst witzigen Kommunikation der Autoren untereinander, eine große Dynamik und Kurzweiligkeit mit sich. Als Kapielski beginnt zu lesen, verschwinden Obazda, Bierhumpen und Volksfestbänke weit in den Hintergrund, denn die Ruhe in seiner Stimme und die sehr bewusst betonte Aussprache erinnern mich eher an schummriges Licht und guten Cognac in riesigen Ohrensesseln am Kaminfeuer.

Doch ganz im Kontrast dazu steht der Inhalt der Texte, die er gelesen hat. Er bekundet sein großes Interesse an der Etymologie der Wortes »Nonnemacher«, des Schweinekastrierers und dessen Variationen in Dialekten. Er liest aus seinem Werk »Ortskunde«, einem Buch, in dem Kapielski anhand der merkwürdigen Namen der deutschen Provinzkäffer eine philosophische Landkarte malt, die Geschichte eines Erwin, denn »auch in Erwin aus Grüneich wohnten einmal zwei Seelen, ach, in einer Brust, weil vier Brüste in seiner einen hausten.« Nämlich die von Jutta aus Huppenberg und die von Hulda aus Pech. Im Grunde ein flacher Wortwitz, aber in dieser Wortwahl und so pointiert vorgetragen wirkt es wie ein klassisches Drama, Shakespeare ohne Blume vor dem Mund.

© Aufbau Verlag

Michael Bittner, der jüngste der Autoren, findet mit seiner Literatur merklichen Zuspruch bei seinen beiden Kollegen, die mehrere Pointen prustend wiederholen müssen. Das nimmt jeden Anschein von einstudierter Lesung als Show und macht das Lachen bei Bittners humorvollen Geschichten zu einem gemeinsamen Erlebnis. Auch das Publikum kann sich von da an nur noch schwerlich zurückhalten. Ob in einer Geschichte über falsch zugestellte Post – und dem Ausmalen jeder möglichen Konsequenz in dem Zusammenhang – oder in einer bitterbösen Satire zum Handelskrieg, Bittner trifft immer den Ton.

Jürgen Roth liest mehrere Stellen aus seinem neuen Buch »Kritik der Vögel«, einer Art Lexikon in Prosaform, das Vögel charakterisiert und in ihrer Lebensweise beschreibt. Allerdings, wie der Titel schon sagt, diese auch hinterfragt, so wie es Vögel selber wohl nie tun werden. Und ich glaube, ich habe heute mit dem Rotrückenwürger auch einen neuen Lieblingsvogel gefunden.

Die Lesung dauert mit kurzer »Trinkpause« gute zwei Stunden. Dieses warme und wohnzimmerliche Bierzelt verlassen wollte jedoch wirklich niemand. Ich persönlich könnte meine Samstage alle so gehoben literarisch und ausgewogen ernährt beginnen.

Beitragsbild (v.l.n.r.): Jürgen Roth, Michael Bittner und Thomas Kapielski. © Julius Stelzer


Die Veranstaltung: Frühschoppen-Lesung Vol.16 mit Michael Bittner, Thomas Kapielski und Jürgen Roth, Galerie ARTAe, 17.3.2018, 11 Uhr

Die Bücher:

  • Jürgen Roth: Kritik der Vögel. Blumenbar Verlag, Berlin 2017,  322 Seiten, 24,99 Euro
  • Michael Bittner: Der Bürger macht sich Sorgen. Edition Azur, Dresden  2017, 132 Seiten, 14,90 Euro
  • Thomas Kapielski: Ortskunde. Urs Engeler Editor, Basel 2009, 130 Seiten, 17 Euro

 

 

Der Rezensent: Julius Stelzer