Dunkler als Schwarz

Nazi-Paragraf* 63 StGB – weggesperrt und weggespritzt; Autorin Bianka Perez liest aus ihrem biografischen Buch über das Leben ihres Bruder in der Psychiatrie.

© Underdog Verlag

Das Forum Literatur »buch aktuell« ist gut besucht. Bianka Perez, eine dunkel gekleidete, junge Frau, beginnt zu sprechen. Schnell. Schon in den ersten Sekunden ist klar, wie sehr sie das Thema ihres Buches »Die Schwarze Liste« berührt. Es handelt von Ihrem Bruder Michael, der auf Grundlage eines psychiatrischen Gutachtens nach einem unbedachten Faustschlag, nun seit fast zehn Jahren »weggesperrt« ist, in einer forensischen Psychiatrie. Das gesamte Publikum hört gebannt zu. Eigentlich ein Tabuthema, eine Parallelwelt, von der wir alle wissen, dass sie existiert, es aber immer wieder verdrängen.

Bianka Perez beschreibt, wie sie die Geschichte Ihres Bruders immer wieder einholt, in Träumen und im Alltag. Außerdem berichtet sie, dass es nicht sonderlich schwer war, Einblick in die ärztlichen Gutachten zu erhalten. Vom Pflegepersonal wurden Sätze notiert wie: »Er gockelt über den Hof und hat wieder ein Ei gelegt.« Bianka zweifelt an der Professionalität des Personals. Sie veranschaulicht mit wortgewandter Treffsicherheit, wie absurd die Strukturen einer geschlossenen Psychiatrie sein können: Ärzte sind die oberste Instanz und ihre Gutachten sind das Einzige, was zählt. Dabei wird vollkommen außer Acht gelassen, dass Patienten, wie Michael Perez, die sich monate- gar jahrelang unter Medikamenteneinfluss in kompletter Isolation befinden, nicht mehr neutral verhalten können. Ein Teufelskreis. Externe Ärzte sind nicht zugelassen und so kann es passieren, dass in einer Psychiatrie Patienten eine hohe Dosis eines Medikaments verabreicht bekommen und Ärzte daraufhin immer wieder neue Persönlichkeitsstörungen diagnostizieren. Michael Perez wurde in die Krankheit getrieben, durch ein System, das wie ein totalitärer Überwachungsstaat funktioniert, sagt seine Schwester.

© Underdog Verlag

Bianka Perez hat es trotzdem geschafft, ein externes ärztliches Gutachten einzuholen, das bestätigt, wie sehr ihr Bruder Michael von den Auswirkungen der Medikamente verändert wurde. Auch beschreibt sie in ihrem Buch die schiere Unmöglichkeit eines Besuchs. Wer seit Jahren in der geschlossenen Psychiatrie sitzt, wird abgeschirmt. Einmal erhielt Sie abends einen Anruf, dass sie am nächsten Morgen vorbeikommen könne das Personal weiß allerdings, dass sie relativ weit entfernt wohnt. Sie steigt sofort ins Auto und fährt los. Als sie ankommt, ist sie mehr als schockiert über die Zustände, in denen Ihr Bruder hausen muss. Er ist komplett isoliert in einer Art Gummizelle. Beim Öffnen der Tür kommt ihr jede Menge Müll und stickige Luft entgegen, was darauf schließen lässt, dass diese länger nicht geöffnet wurde. Ihr Bruder liegt nackt auf einer Schaumstoffmatratze, ist schockiert, als er sie sieht. Bianka berichtet, wie unglaublich sie es findet, dass er nach drei Jahren kompletter Isolation immer noch ein Gespräch führen kann. Sofort konfrontiert sie das Pflegepersonal, fragt wie es zu diesen Zuständen kommen konnte, will Antworten, jedoch wird ihr nur auf dreiste und mürrische Art ausgewichen.

Sie kämpft nun seit fast zehn Jahren um Ihren Bruder und wird es weiter tun, bis dieser wieder in Freiheit ist. Es gibt eine neue Psychatriereform, berichtet sie. Diese besagt, dass nach zehn Jahren ein Fall erneut aufgerollt werden muss, mit einem neuen Gutachten von externen Ärzten. Diese Reform ist Ihre Hoffnung. »Doch wie kann man nach drei Jahren kompletter Isolation wieder ein neues Leben beginnen?«, fragt sie. Eine Frage, die vor allem die behandelnden Ärzte sich selbst als Mensch beantworten müssen. Ich verlasse die Lesung gleichermaßen berührt und fassungslos, aber auch mit viel Bewunderung für die Kraft die Bianka Perez im Kampf um Ihren Bruder beweist. Bleibt zu hoffen, dass die Psychiatriereform der Wendepunkt in Michael Perez Biografie sein wird.

Beitragsbild: Die Autorin, Bianka Perez, und Olaf Junge vom Underdog Verlag während der Lesung. © Maleka Wiedemann


Die Veranstaltung: Bianka Perez liest aus »Die schwarze Liste«, Literaturforum buch aktuell, Leipziger Buchmesse, 18.3.2018, 11.30 Uhr

Das Buch: Bianka Perez: »Die schwarze Liste«, Nazi-Paragraf* 63 StGB – weggesperrt und weggespritzt. underdog, Hamburg 2017, 17,90 Euro, E-Book 9,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Maleka Maria Wiedemann