Susanne Bormann löst mit ihrer Lesung des Romans „Fang den Hasen” von Lana Bastašić Rührung vor dem Laptop aus.

Wäre es nicht die Zeit einer Pandemie, dann hätte Susanne Bormanns 15-minütige Lesung im lauten Trubel der Leipziger Buchmesse einen Raum nachdenklicher Stille geschaffen und das Publikum für einige Minuten aus der hektischen Wirklichkeit entführt. Stattdessen lauschen nun am 27. Mai 2021 an die 60 Menschen vor ihrem Bildschirm den ersten Seiten des Romans von Lana Bastašić, der Empfängerin des Europäischen Literaturpreises 2020 für Bosnien und Herzegowina.
Punkt 19 Uhr beginnt zu munteren Klängen der Countdown der Videopremiere auf YouTube. Eingestimmt wird das virtuelle Auditorium mit einer Animation, die an eine moderne Variante eines Testbilds erinnert. Präsentiert und organisiert wird die Lesung von TRADUKI, einem Netzwerk für multilaterale, internationale Kulturarbeit mit dem Schwerpunkt südosteuropäischer Literatur. Diesem Netzwerk ist neben der Lesung auch die audiovisuelle Gestaltung des Videos mit Illustrationen der Künstlerin Aleksandra Nina Knežević zu verdanken. Sie erweitert den Hörbuch-Charakter der Veranstaltung um eine besondere, humorvolle Facette. Susanne Bormann beginnt sodann ohne Umschweife auf der ersten Seite und führt uns, wie wir allesamt vor unseren mobilen Endgeräten sitzen, in die Geschichte von Sara und Lejla.

Die in Dublin lebende Sara wird plötzlich, nach 12 Jahren Funkstille, von ihrer Kindheitsfreundin Lejla angerufen. Das Telefonat schleudert sie in eine längst vergangene Zeit, rüttelt ihre Muttersprache wach, erinnert sie an die launische, unbändige Lejla und an ihre unzertrennliche Freundschaft inmitten des Bosnienkriegs. Lana Bastašić beschreibt mit einer fesselnden Sprache das erste Gespräch der beiden jungen Frauen. Wie komplex, feinfühlig und authentisch sie ihre Protagonistinnen skizziert hat, lassen bereits die ersten Seiten ihres Buchs erahnen, in deren Genuss die Hörer*innen kommen. Ihre Beschreibung von Saras Hadern, ihrer Zerrissenheit und die anklingende Komplexität der Beziehung rühren an. Was folgt ist die absurde Forderung Lejlas, Sara möge sie von Bosnien nach Wien bringen. Sara sträubt sich entschlossen gegen die wahnwitzige Idee, doch als Lejla Armin erwähnt, bucht sie ohne Zögern ein Flugticket nach Zagreb. Welche Verbindung zwischen den drei Protagonisten besteht, bleibt für die Zuhörer*innen zu diesem Zeitpunkt vollkommen offen.
Die angenehme Stimme von Susanne Bormann harmoniert mit den geschriebenen Worten Lana Bastašić’ und ergibt ein stimmiges Bild. Jedoch hätte ich die Vorleserin gern im Rahmen einer live-Übertragung gesehen, um noch stärker das Gefühl einer echten Buchmesse-Veranstaltung zu spüren. Auch wenn die Erwartungen einer live-Lesung nicht erfüllt wurden, verbleibt nach dem Hörbuch-Erlebnis insbesondere ein Gedanke: wie geht es weiter?
Die Veranstaltung: Susanne Bormann liest aus »Fang den Hasen«, online via YouTube, 27.5.2021, 19:00 Uhr
Das Buch: Lana Bastašić: Fang den Hasen. Aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger, Frankfurt am Main: S. Fischer, 2021, 331 Seiten, 22 Euro, E-Book: 18,99 Euro