Die Leichtigkeit im Staat der Posttraumata

Bei Jüdische Lebenswelten im Ariowitsch-Haus ist Assaf Gavron zu Gast, der das scheinbar Unmögliche möglich macht und mit Leichtigkeit israelische Geschichte erzählt.

Assaf Gavron. © Stephan Röhl

Assaf Gavron sieht nicht wie ein Rockstar oder ein Fußballer aus. Und doch ist es das Erste, was das Publikum im Ariowitsch-Haus über den unscheinbaren Mann erfährt: Er ist Sänger einer Rockband und Gründer des »Israelian Writers National Soccer Teams«. Gekommen sind die rund 30 Zuhörer allerdings wegen seines Buches »Achtzehn Hiebe«, aus dem Andreas Rehschuh an diesem Abend liest.

So wenig der schlichte Saal des Jüdischen Kulturzentrums mit den nackten Betonwänden ins Leipziger Zentrum mit seinen Gründerstadtvillen passen will, so gut passt Gavron in den Saal: leger gekleidet mit großer Brille, hinter deren Gläser die Augen klein wirken. Hinter ihm ragt das einzige Schmuckstück des Saals, eine traditionelle goldene Menora, gekrönt von einem Davidstern, in auffällig roter Beleuchtung empor. Beinahe noch größer als der Kontrast zwischen kargem Beton und funkelndem Leuchter ist der Kontrast in Gavrons Roman, aus dem Rehschuh zu lesen beginnt. »Achtzehn Hiebe« ist die Geschichte des Hobby-Detektivs Eitan Einoch, den seine Freunde »Krokodil« nennen und der eigentlich Taxifahrer ist. Aber es ist ebenso die Geschichte einer großen Liebe. Gavron erzählt sie mit einer Menge trockenem Humor und einer ordentlichen Portion Sex.

Wie der Titel erahnen lässt, ist der Inhalt jedoch nicht halb so leicht wie er erzählt wird. Nach seinen ersten beiden Romanen, die von Siedlungspolitik und der zweiten Intifada handeln, wollte der in Tel Aviv lebende Autor „something lighter, something more fun« schreiben, wie er selber sagt. Allerdings habe er schnell feststellen müssen, dass jede persönliche Geschichte eingebettet in nationale, in größere Zusammenhänge sei. So geht es um die britische Mandatszeit, zionistische Untergrundorganisationen und Anschläge. Laut dem Autor werfe der Roman keine geringere Frage auf als: »What is history?«

© Luchterhand Literaturverlag

Das Interesse für israelische Geschichte hat er auch seinem Protagonisten geschenkt. Dieser liest in einem City Guide, den er in seinem Handschuhfach immer dabei hat, die Hintergründe der Straßennamen in Tel Aviv nach, obgleich sich seine Kunden selten dafür interessieren. Es bleibt zu hoffen, dass der Autor nicht alle Eigenschaften Eitans teilt, denn dieser sagt im Roman relativ zu Beginn: »Es ist nicht leicht, wenn man ein Posttrauma hat, auch wenn ich weiß, dass das keine Ausrede ist, denn allen in unserem Staat geht es so, und die meisten schaffen es doch irgendwie, sich aufzurappeln.«

Während Rehschuh diese und andere Passagen vorliest, scheint Gavron seinem eigenen Roman aufmerksam zu lauschen, obgleich er kein Deutsch spricht. Gedankenverloren lauschend sieht er fast ein wenig traurig aus. Wann immer er jedoch zu erzählen beginnt, lacht er verschmitzt, wobei seine Augen funkeln. Und zu erzählen hat er so viel, dass die Moderatorin sich Notizen zum Übersetzen macht.

Als er von seiner britischen Tante erzählt, die als Inspiration für die facettenreiche Protagonistin Lotta Pearl diente, wird aus dem unscheinbaren Mann mittleren Alters einer, der neugierig macht. Neugierig auf das Buch, neugierig auf die Menschen dahinter. Und wem der Roman nicht reicht: Kommendes Jahr will seine Band ein Album herausbringen.

Beitragsbild (von links nach rechts): Assaf Gavron und Moderatorin Maria Hummitzsch hören Andreas Rehschuh beim Lesen zu. © Anneke Schmidt


Die Veranstaltung: Assaf Gavron zu Gast bei Jüdische Lebenswelten, Lesung: Andreas Rehschuh, Moderation: Maria Hummitzsch, Ariotwitsch-Haus e.V., 15.3.2018, 21 Uhr

Das Buch: Assaf Gavron: Achtzehn Hiebe. Luchterhand Literaturverlag, München 2018, 416 Seiten, 22 Euro, E-Book 17,99 Euro


 

 

Die Rezensentin: Anneke Schmidt