Die Frauenflüsterin

Bestsellerautorin liest Anekdoten aus dem Leben starker Frauen.

»Roswitha Gruber vorstellen, ist wie Eulen nach Athen zu tragen«, begann der Vertreter des Verlages. Gnädigerweise fügte er trotzdem Hintergrundinformationen an. Durch ihre ca. 25 Bestseller mit über 400.000 Büchern Auflage sollte sie in Deutschland bestens bekannt sein. Die Autorin, Jahrgang 1939, lebt zurückgezogen auf einem Bergbauernhof in Reit im Winkl. In ihren Romanen widmet sie sich hauptsächlich Frauenschicksalen, die auf realen Vorbildern beruhen. Für ihre »Großmütter erzählen«-Bücher sammelte sie die Lebensgeschichten von Frauen. Sie berichten meist über ihre Eltern und Großeltern, reichen in der Zeit also sehr weit zurück. Jedes Leben beinhaltet schöne wie auch schlimme Erlebnisse, die meist der Zeit des Zweiten Weltkrieges geschuldet sind.

© Roswitha Gruber

Nach der ausreichenden Einführung flüchtete der Sprecher, um eine thailändische Prinzessin an seinem Stand zu begrüßen. Die allein gelassene Schriftstellerin begann aus ihrem sechsten und neuesten Band »Großmütter erinnern sich« vorzutragen. Sie las Ausschnitte aus sieben der darin enthaltenen elf Geschichten, gab vorher immer eine Vorstellung der betreffenden Person und danach Zusatzinformationen. Gruber suchte sich für ihre Lesung immer lustige Erlebnisse heraus, wie der Tanzabend mit der Besitzergreifung von Hans an Sanni in »Das erste Busserl«, die Erlebnisse der Mädchen im Jungenzugabteil und die Reaktion der Mutter Oberin in »Marguerit im Glück«. Oder das Tragen des Opossumpelzmantels der Mutter und der sich deswegen schämende Vater in »Die verhinderte Gutsherrin«.

Diese Geschichte beeindruckte mich aufgrund der Prinzipien des Vaters, die im Vorleseteil angedeutet wurden, in seinem Ausspruch aber deutlicher zur Geltung kommen: »Man kann alles können, man kann alles sein. Aber man darf nichts scheinen.« Zudem dachte ich mir während des stillen Lesens: »Was für eine coole Mutter, die noch den Deckel der Bleikristalldose kaputthaut, nachdem das Kind das Unterteil aus Versehen zerbrochen hatte!«, um ein Erlebnis zu veranschaulichen. Es folgte »Die Flucht im Schweinekahn«, eine eigentlich wahnsinnig dramatische Story. Gruber erzählte aber nur das erschreckende Erlebnis der kleinen Brunhilde am FKK-Strand.

Ein guter Zeitpunkt, mich nach dem Publikum umzusehen, das immer pointiert lachte und Beifall nach jeder Geschichte gab. Meine Vermutung bestätigte sich: Es waren hauptsächlich Zuhörerinnen mittleren Alters anwesend. Während der Lesung flüsterte mein Vater mir zu: »Die Stühle sind Mist!« Er hob also nicht nur den männlichen Durchschnitt unter den Anwesenden, sondern signalisierte mir auch, dass sein Stuhlleiden, sein Interesse an der Lesung im doppelten Sinne drückte. Es ist vermutlich kein Wunder, wenn ein Mann wenig Anteilnahme an den Geschichten von Großmüttern zeigt?! Die weißen innovationsfreudigen Wunderwerke der Sitzkunst, die meinem Vater die Nieren quetschten, holten auch aus jedem der sich Anlehnenden das Beste heraus. Egal ob füllig oder schlank, die Unterschiede verschwammen, weil die Kanten gleichberechtigt die Speckröllchen von jedem zur Geltung brachten, während man sich gefährlich nah dem Schoß seiner Hinterperson entgegen dehnte.

Als die Autorin in das Publikum fragte, ob jemand Waltraut Haas kenne, den Kino- und Fernsehstar ihrer Jugend, meldeten sich tatsächlich einige. Sie interviewte die Schauspielerin für die Geschichte »Früh übt sich, was ein Star werden will«, in der sie den Ausschnitt über die wohlverdiente Wurstsemmel zum Besten gab. Das inspirierte eine Dame im Publikum zum Kekseessen. Zuletzt las sie aus der Geschichte »Verliebt in den Bodensee« von Ruths Mutter vor, die lange keinen Mann fand, am Ende aber doch noch heiratete. Leider konnte sie die Geschichte aus Zeitbedrängnis nicht mehr beenden und fügte alles in einem lapidaren Schlusssatz zusammen.

© Rosenheimer Verlagshaus

Am Coverbild des Buches stören mich zwei halbunmögliche Dinge und diese will ich vor Großmutters Nachmittagsmahl noch aufzählen: die große schwere Tasse zum Mund und wieder zur Untertasse zu führen und die riesigen runden Kekse mit Genuss zu verspeisen. Ich habe nur wenig persönliche Erfahrung mit sehr alten Frauen. Diese bestehen aus der Erinnerung an eine Großmutter und einer Großtante. Aber beide hätten sich mit diesen Vorhaben abgemüht. Meine Oma hätte mit ihrem Zahnersatz niemals diese Kekse an einem Nachmittag kleingekaut. Sie war schon tagelang mit dem Zermahlen einer relativ weichen Walnusskernhälfte beschäftigt. Zusätzlich kann ich mir nicht vorstellen, wie sie mit zitternder Hand und nachgelassenen Kräften so sicher ihren Kaffee hätte trinken können. Aber vielleicht sind diese Frauen, die in ihrem Leben hart arbeiten mussten, auch im hohen Alter physisch noch viel stärker als ich mir ausmale.

Beitragsbild: Roswitha Gruber. © Katja Murschel


Die Veranstaltung: Roswitha Gruber liest aus Großmütter erinnern sich, Messegelände, Halle 3, Stand E401, Forum Literatur »buch aktuell«, 22.3.2019, 13.30 Uhr


Das Buch: Roswitha Gruber: Großmütter erinnern sich. Rosenheimer Verlagshaus, Pößneck 2019, 302 Seiten, 14,95 Euro, E-Book 9,99 Euro


 

 

 

Die Rezensentin: Isabelle Goldammer