Szenische Lesung mit Corinna Harfouch und Wolfgang Krause-Zwieback im Literaturhaus Leipzig.

Begleitet von rockiger Gitarrenmusik betreten die sehnsüchtig erwarteten Stars des Abends die Bühne. Das gespannte Tuscheln des überwiegend weißhaarigen Publikums im modern-sterilen Saal des Literaturhauses Leipzig bricht plötzlich ab. Corinna Harfouch und Wolfgang Krause-Zwieback lesen aus Franz Jungs Autobiografie »Der Weg nach unten«. Ist-Aufnahmen aus dem 20. Jahrhundert reihen sich aneinander, als würde man alte Fotografien betrachten. Die Empfindungen für seine Frau Margot lassen sich höchstens erahnen. »Soviel ich weiß, verlangt man von einem Schriftsteller, dass er das, was er schreibt, durcharbeitet und feilt, auswägt und den Leser oder Hörer hineinzuziehen bestrebt ist. Ich habe das nicht getan. Ich stoße eher den Leser ab.« So trocken die Schilderungen beim Lesen wirkten, so belebt werden sie durch das teils dialogische Vortragen der beiden Schauspieler, die begleitende Musik und die Fotos.
Die Reise durch Jungs abenteuerliches Leben beginnt im Jahr 1888 in Neiße, Oberschlesien. Nach dem Abitur verlässt er seine Heimat, beginnt in Leipzig Musik zu studieren und wechselt bald zum Jurastudium. Beides währt nicht lange und schon bald findet sich Jung in einer Halbwelt von Studenten, Zirkusartisten und Künstlern wieder. Eine Auseinandersetzung mit seiner Frau Margot gibt den Anstoß und Jung beginnt, sein Interesse für Gedrucktes in eigene schriftstellerische Versuche umzusetzen. »Ich schrieb damals in großer Erregung und innerer Anteilnahme und habe eine große Menge Schokolade dabei gegessen.« Nachdem seine Frau ihn aus der gemeinsamen Wohnung wirft, meldet Jung sich bei Kriegsausbruch freiwillig zum Militär. Bald darauf desertiert er, ohne an einer Schlacht teilgenommen zu haben. In der Zeit bis 1918 arbeitet Jung an politisch-kulturellen Projekten im Untergrund und gibt die Zeitschrift »Die Neue Jugend« heraus, eine der ersten dadaistischen Zeitschriften in Deutschland.

9. November 1918: Jung besetzt zusammen mit einem Trupp Soldaten ein Telegrafenbüro in Berlin. »Die beiden Öfen im Saal waren gut geheizt. Die deutsche Revolution hatte begonnen.« Jung beschreibt das Revolutionsgefühl als sehr verhalten. Die Obersten arbeiten an einer Fortführung im Sinne der alten Mächte, dem Aufstand fehlt eine klare Richtung. Während der Revolutionskämpfe steht Jung auf der Seite der Spartakisten. Nach Verhaftung und erfolgreicher Flucht nach Breslau, gründet Jung 1920 die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands. Daraufhin kapert er zusammen mit einem Bekannten einen Fischdampfer, um durch Gespräche in Russland die Aufnahme in die Kommunistische Internationale zu ermöglichen. Die Verhandlungen mit Lenin, Bucharin und Karl Radek bleiben jedoch erfolglos. Zurück in Deutschland wird Jung verhaftet und taucht nach der Entlassung sofort unter. Unter falschem Namen veröffentlicht er noch einige literarische Werke und gehört der Untergrundgruppe Rote Kämpfer an. Seine dadurch bedingte Flucht aus dem Dritten Reich führt ihn über Österreich, die Schweiz, Ungarn und Italien bis in die USA. Nach seiner Rückkehr wird 1961 erstmals seine Autobiografie »Der Weg nach unten« veröffentlicht. Arbeitstitel: »Der Torpedokäfer«.
Der Torpedokäfer jedenfalls ist gewehrpatronengroß und zu beiden Seiten gepanzert. Die Fühler sind eher kurz, ins Ungewisse tastend. Besonders ist die Kraft, mit der er sein Ziel anfliegt. Am Körper selbst ist sie nicht zu finden, eher noch im koordinierenden Nervensystem. Das angestrebte Ziel ist groß genug, geradezu drohend, hat jedoch einen sehr schmalen Eingang, den er immer wieder verfehlt. Daher der sich immer wiederholende Sturz – die biologische Eigenschaft des Torpedokäfers und eine gelungene Metapher für Jungs eigenen Lebensweg. Die Lesung hat es geschafft, Jungs Aufzeichnungen überraschend lebendig darzustellen und authentische Einblicke in das Leben eines Zeitzeugen zu vermitteln.
Beitragsbild: Wolfgang Krause-Zwieback (links) und Corinna Harfouch (rechts). © Irene Herrmann
Die Veranstaltung: Corinna Harfouch und Wolfgang Krause-Zwieback lesen aus dem abenteuerlichen Leben des Franz Jung, Dramaturgie: Hanna Mittelstädt, Musik: HF Coltello / Christoph Frenz, Film: Marija Petrovi, Literaturhaus Leipzig, 8.1.2018, 19.30 Uhr
Das Buch: Franz Jung: Der Weg nach unten. Edition Nautilus, Hamburg 2013, 440 Seiten, 19,90 Euro
Die Rezensentin: Irene Herrmann