»Der Kotzeimer des politischen Frustes«

Juli Zeh spricht in Berlin vor Publikum und live bei radioeins über ihren neuen Roman »Leere Herzen« und was sie derzeit in der Gesellschaft beunruhigt.

Im lässigen Lederkleid, mit asymmetrischer Frisur und der Unverfrorenheit im Radio »scheißegal« zu sagen, will die Autorin auf der Bühne so gar nicht in die Umgebung passen. Die Umgebung, das ist der große Sendesaal des rbb in Berlin, dessen knapp über 1.000 Plätze besetzt sind; hauptsächlich von gut situierten Frauen um die 50. Die Autorin ist keine andere als Juli Zeh, Juristin, begeisterte Sozialdemokratin und spätestens seit dem im letzten Jahr erschienenen Roman »Unterleuten« Bestsellerautorin.

Juli Zeh © Thomas Müller

Auch wenn Moderator Knut Elstermann sich alle Mühe gibt, das Gespräch wie eine beliebige Polit-Talkshow im Abendprogramm zu gestalten, geht es eigentlich um Zehs Roman »Leere Herzen«, der am selben Tag erschien. Dass dieser so schnell auf »Unterleuten« folgte, hat einen Grund, den die Autorin in klaren Worten benennt: Der Polit-Thriller sei ein »Kotzeimer des politischen Frustes«. Ohne falsche Bescheidenheit stellt sie sich auf die Frage nach dem Genre selbst in eine Reihe mit Aldous Huxley und George Orwell.

Obgleich der Roman keine zehn Jahre in der Zukunft spielt, ist er eine Dystopie, eine solche jedoch, die ganz organisch aus Deutschlands und Europas derzeitiger Situation heraus zu erwachsen scheint. Verständlich also, dass Zeh die Arbeit daran als rauschhaft, anstrengend und nicht immer spaßig beschreibt. Das Ergebnis ist die durch und durch zynische Geschichte eines jungen Start-up-Unternehmens, das zugleich Suizidprävention betreibt und besonders beratungsresistente Individuen als Märtyrer an Terrororganisationen vermittelt.

Eine »Win-win-win-Situation«, wie Zeh trocken erwähnt. Das Publikum lacht dazu, ein wenig übertrieben echauffiert, ein bisschen zu sehr um Abgrenzung zum Gehörten bemüht, als erzähle die Autorin schmutzige Witzchen. Dabei spricht aus dem Kommentar die Protagonistin Britta, die den meisten Anwesenden vermutlich mehr ähnelt als ihnen lieb ist. Ihre erst einmal abwegig menschenverachtend erscheinende Geschäftsidee entstammt nämlich nicht einer radikalen Überzeugung oder höherem Glauben, sondern ganz im Gegenteil ihrer vollkommenen Mittelmäßigkeit. Die außerordentlich pragmatische und rationale Britta leidet laut der Autorin an einem Mangel an Überzeugungen, an »innerer Leere durch Nullsummenrechnungen«. Wenn Juli Zeh Kritik übt, ist diese häufig sprachlich nicht sonderlich raffiniert, nicht subtil, sondern direkt. So auch in »Leere Herzen«.

© Luchterhand Verlag

Umso erstaunlicher ist es, wie unverstanden Juli Zeh hier wirkt, vor der Schar ihrer Anhängerinnen und neben einem Moderator, der ihr ununterbrochen Komplimente macht und sie komplizenhaft »Juli« nennt. Während Juli nun also aus ihrem Buch liest und keinen Hehl aus ihrer generellen Zukunftsangst macht, lacht das Publikum besonders an den Stellen, an denen Brittas Lebensabschnittsgefährte Sushi zubereitet, Rotwein verschenkt und Braunschweig als »Stadt gewordener Kompromiss« bezeichnet wird. Moderator Elstermann hingegen möchte am liebsten über Politik reden. Dass die Innenministerin im Roman Wagenknecht heißt und aus einer offensichtlich rechten Bürgerbewegung stammt, nimmt er zum Anlass, um über »Extremismus« zu sprechen: Links, rechts, alles gleich, alles doof.

 

Das ist schade, geht es in dem düsteren Roman doch um das Problem der desillusionierten Masse in der Mitte der Gesellschaft. Um den Schrecken des bis an die Spitze getriebenen Neoliberalismus, in welchem Terroristen und Märtyrer sich als Dienstleister verstehen und ihr Selbstmord nach Effizienz gestaltet wird.

Und langsam zeichnet sich ganz klar ab, was an dieser Lesung irritiert: Es ist nicht die Autorin, die mit angenehmer Stimme aus einem Buch liest, das sicherlich wenige Tage später in den Feuilletons hochgelobt werden wird. Es ist die Szenerie, es sind die gut gekleideten und gekünstelt lachenden Gäste, es ist der Moderator dessen Politgeplänkel die Brisanz eines SPD-Parteitages hat. Als er dann fragt: »Was ist mit uns passiert?«, kann man sich nur wünschen, er hätte gefragt, was nicht passiert ist. Nämlich ein Ausbrechen aus diesem »Wellness-Leben«, wie Zeh es nennt. Was hier stattfindet, ist eigentlich schon die Dystopie des Romans.

Beitragsbild: Juli Zeh (rechts) hat sichtliche Freude beim signieren ihres neuen Romans. © Anneke Schmidt


Die Veranstaltung: Deutschlandpremiere mit Radioeins vom rbb: Juli Zeh liest aus ihrem neuen Roman, Moderation: Knut Elstermann, Großer Sendesaals des rbb Berlin, 13.11.2017, 20 Uhr

Das Buch: Juli Zeh: Leere Herzen. München 2017, 325 Seiten, 20,00 Euro, E-Book 15,99 Euro


 

 

 

Die Rezensentin: Anneke Schmidt