Im Horns Erben unterhalten sich Moderatorin Beatrice Faßbender und Autorin Bettina Baltschev über ihren Roman »Am Rande der Glückseligkeit. Über den Strand«, eine kulturwissenschaftliche Reise bedeutenden Stränden Europas.
Ich sitze zuhause vor meinem Laptop, begrenzt von den üblichen vier Wänden und warte, dass die heitere Warteschlangenmusik endet und der Livestream beginnt. Um den Strand soll es in diesem Gespräch plus Lesung gehen: dieser Ort, der Freiheit, Grenzenlosigkeit und Weite für mich bedeutet. Ein Ort, der sich in Zeiten des Lockdowns so fern anfühlt und gleichzeitig Sehnsucht auslöst. Aber in Bettina Baltschevs Roman, soviel habe ich beim Reinlesen herausgefunden, kommt dem Strand eine viel größere Bedeutung zu als lediglich Erholung und Fernweh. Der Strand zeigt sich vielmehr als ein »privilegierter Ort«, auf dem sich Kämpfe der Geschichte, Literatur und Politik austragen.


Der Livestream beginnt, ich werde wach: im Leipziger Veranstaltungsort Horns Erben sitzen sich Moderatorin Beatrice Faßbender und Autorin Bettina Baltschev an einem kleinen Holztisch gegenüber, der Teppich und die rotgelbe Stehlampe sorgen für eine angenehme Wohnzimmer-Atmosphäre. Ein kleines Publikum ist anwesend, das sich jedoch kaum bemerkbar macht. Faßbender beginnt das Gespräch mit persönlichen Fragen zu Baltschevs Beziehung zum Strand, schnell entwickelt sich ein interessantes Gespräch zwischen zwei sympathisch wirkenden Frauen, die innerhalb einer Stunde erstaunlich viele Aspekte des Romans aufgreifen. Klar wird: Baltschevs Reise zu den acht Stränden war keine rein poetische, die sich in Schwärmereien verliert. Die Strände, die sie sich ausgesucht hat, sind politisch aufgeladen, ihre Geschichten gliedern sich in einenZeitstrahl ein und mischen sich mit Gegenwartsbeschreibungen. Startpunkt bildetder holländische Strand Scheveningen während des 16./17. Jahrhunderts, über Hiddensee geht es weiter in die Normandie (Schauplatz des D-Days 1944) und endet in der Gegenwart mit der Situation Geflüchteter auf Lesbos. Es geht um Fragen der Klasse, des Geschlechts und der Herkunft, aber auch um persönliche Eindrücke, literarische Motive und die Geschichten alltäglicher Gewohnheiten. Zur Untermalung liest Baltschev zwei kleine Passagen aus ihrem Roman vor, ihre leicht raue Stimme schafft ein angenehmes Zuhörerlebnis. Schließlich bedankt sich Faßbender mit den Worten »du erzählst die Geschichte dort, wo das Land aufhört«, der Livestream endet mit dem klirrenden Geräusch der anstoßenden Weingläser Faßbenders und Baltschevs.
Als ich meinen Laptop zuklappe, bleibt ein ambivalentes Bild des Phänomens Strand, das weit über seine Funktion als Urlaubsort hinausgeht und Gesellschaften spiegelt. Bettina Baltschevs Roman werde ich komplett lesen. Eine gelungene Veranstaltung also, die die Zuschauenden mit Gepäck im Kopf zurücklässt.
Beitragsbild © Berenberg Verlag GmbH, Sophienstraße 28/ 29, 10178 Berlin, Youtube
Die Veranstaltung: 28.05.2021, 19:00: Bettina Baltschev im Gespräch mit Moderatorin Beatrice Faßbender über ihren neuen Roman »Am Rande der Glückseligkeit. Über den Strand« im Veranstaltungsort Horns Erben in Leipzig
Das Buch: Bettina Baltschev: Am Rande der Glückseligkeit. Über den Strand. Berlin: Berenberg Verlag 2021. 277 S., 25 Euro
Die Rezensentin: Lisa Paschold