Eine Lesung mit Iron Man.
Von einer Lesung an einem Freitagvormittag um 11 Uhr, über einen Live Stream auf YouTube ohne sichtbare Zuschauer, erwartet man nicht viel. Aber nur dreizehn Anwesende, von denen lediglich drei sparsam ihren Senf dazu geben, überrascht angesichts der Tatsache, dass ein sehr erfolgreicher deutscher Jugendbuchautor sein neustes Buch vorstellt. Auch Boris Koch hat anfangs sichtlich Schwierigkeiten starr in eine unbelebte Kamera zu sprechen und dass sich nicht einmal ein menschlicher Moderator vor die Linse getraut hat, trägt nicht zur Verbesserung der Situation bei.
Stattdessen führt uns eine stotternder Papp-Ironman im Chibi-Stil durch die Veranstaltung. Der Holzspieß, an dem unser Moderator befestigt ist, wird von einer Tischplatte verdeckt, und lässt das schmerzliche Bild eines erwachsenen Mannes entstehen, der unter einem Tisch kauernd seine Stimme verstellt und dabei spontan versucht, heldenbezogene Sätze zu formen.
Alles in allem wirkt Boris Koch in dem dunklen Keller der Villa Leipzig recht einsam.

»Hallo liebe Kameras, hallo liebe Anderen, die mir zuhören«, begrüßt uns der Autor und beginnt nach kurzer Einführung auch gleich mit dem ersten Kapitel und dem selbstmörderischen Versuch eines Jungen, sich von einer Brücke zu stürzen, um fliegen zu lernen. Bereits der Titel des Buches lässt erahnen: Boris Koch hatte keinen Bock mehr auf die typischen Jugendbücher, bei denen die Protagonisten alle besonderen Fähigkeiten besitzen, Wunder vollbringen und Abenteuer erleben. Also erschuf er eine Welt, in der zwar Superkräfte existieren, aber sein Protagonist Bjarne sollte keine haben. Das erste Kapitel macht es auch schon mehr als deutlich: sein Held ist ein ganz normaler Junge.
Iron Man startet die Fragerunde und weitere Superhelden gesellen sich dazu. Es sind nicht nur kindliche Fragen, die die Pappfiguren stellen, sondern auch moralische. Allmählich verschwindet dann auch die Vorstellung von dem Mann unter dem Tisch und man beginnt mit den Papierhelden regelrecht zu sympathisieren.
Wer einen Abenteuerroman mit epischen Schlachten erwartet, sollte sich lieber woanders umsehen. Mit seinem neuen Roman will Koch sichtlich das Klischee des Besonderen Kindes verwerfen und den Jugendlichen zeigen, dass nicht jeder außergewöhnlich sein kann. Durch Bjarne zeigt der Autor zu welchen Lebensgefährlichen Situationen und psychischen Erkrankungen, diese ständige mentale Belastung führen kann.
Spätestes als Koch von seiner Arbeit in der Kinderpsychiatrie berichtet, wird klar, was er mit seinem neusten Roman erreichen möchte. Speziell Kinder und Jugendliche stehen unter großem Druck, besonders gut sein zu müssen und außergewöhnliche Talente zu besitzen. Das Camp der Unbegabten ist Kochs kindgerecht verpackte Kritik an der Leistungsgesellschaft und ein erhobener Zeigefinger in Richtung Eltern. Somit nicht nur eine Geschichte für Jugendliche. Zusammenfassend eine angenehme Lesung für einen Vormittag, übrigens weiterhin auf YouTube zu sehen unter: Youtube.
Beitragsbild: Boris Koch – Das Camp der Unbegabten © Youtube-Kanal VILLAKeller. Screenshot von © Antonia Rost.
Die Veranstaltung: (Online-)Lesung mit dem Autor Boris Koch über sein neustes Buch Das Camp der Unbegabten. Veranstaltung im Keller der Villa Leipzig. Live Stream auf YouTube 28.05.2021, 11:00. Abrufbar unter Youtube
Das Buch: Boris Koch: Das Camp der Unbegabten. Thienemann Verlag, 2021. 320 S., 16 Euro
Die Rezensentin: Antonia Rost