Florian Werners neuer Roman widmet sich dem bisher unbeliebten Ort Raststätte und zeigt auf, warum viel mehr in ihr steckt, als ihr Ruf es verrät.
Ich muss es offen zugeben: Beim Titel »Die Raststätte« geht mir nicht gerade das Herz auf. In der Luft liegt der beißende Geruch von Benzin, Urin und Zigaretten, auf den Parkplätzen wechseln schreiende Kinder und gestresste Eltern permanent die Bühne, dazu Sanifair-Preise und Kloschlangen. So wie mir geht es wohl den meisten Besucher:innen, deutsche Raststätte gewinnen nicht gerade den Beliebtheitspreis. Wo andere schnell das Weite suchen, schlägt Florian Werners Herz höher. In seinem neuen Roman spielt die Raststätte die Hauptrolle, der deutsche Schriftsteller hat ihr »eine Liebeserklärung« auf 160 Seiten geschrieben. Ich bin gespannt, ob seine Liebe ansteckend ist.


Als Recherchemethode entscheidet sich Werner für die »hohe Kunst des Herumlungerns«, fünf Tage lang hat er sich in der Raststätte Garbsen Nord eingebucht und die Umgebung sowie ihre Menschen beschrieben. Denn Garbsen Nord, direkt an der A2 gelegen, markiert »die automobile Mitte des Landes«. Fotografien von Christian Werner dokumentieren das Geschilderte. Während seines Aufenthalts begibt sich Florian Werner auf eine Reflexionsreise, deren Beschreibungen ein Händchen für Alltagsabsurditäten aufzeigen. Ob es Pissoirs mit Werbebildschirmen sind (»Vorne sind sie ja gut ausgestattet… aber wie sieht es am Heck aus?«), oder Werbegrafiken am Straßenrand (»Wir bauen ein neues Rasthaus, auf das Sie abfahren werden!«) – an Raststätten scheint sich die deutsche Vorliebe für Wortspiele zu manifestieren. Amüsant sind auch seine Begegnungen mit den verschiedenen Gesprächspartner:innen, darunter der Inhaber, seine »rechte Hand«, ein Flaschensammler, ein Politiker, ein Autobahnpolizist, ein LKW-Fahrer und – mein persönliches Highlight – ein Botaniker, der sich für die Vegetation an Raststätten interessiert. Denn in Garbsen Nord wachsen mehr als 260 Pflanzenarten. Es sind viele kleine Anekdoten, die lustig, traurig und schön zugleich sind und verdeutlichen, dass Raststätte tatsächlich Heimat bedeuten kann. Aber es bleibt nicht nur persönlich, Florian Werner füttert seine Leser:innen zudem mit geschichtlichen sowie politischen Input rund um Fragen des Eigentums und historisch wandelnder Bedeutungszuschreibung. Gegen Ende folgt eine philosophische Reflexion, die allerdings oberflächlich bleibt.
Insgesamt ist Florian Werners »die Raststätte. Eine Liebeserklärung« ein schöner, leicht zu lesender Roman, der dennoch Wissen vermittelt und seine Leser:innen wieder einmal für ihre Umgebungen und deren Geschichten wachrüttelt. Verliebt bin ich zwar immer noch nicht, dafür stehe ich einfach zu wenig auf Autos und Asphalt, aber ich habe definitiv Lust bekommen, mich bei meinem nächsten Raststätten-Besuch genauer umzuschauen. Eine klare Empfehlung also für alle, die zukünftig nicht an Raststätten vorbeikommen werden.
Beitragsbild © 2021 Carl Hanser Verlag, München
Das Buch: Florian Werner: Die Raststätte. Eine Liebeserklärung. Berlin: Hanser Berlin 2021. 160 Seiten, 22 Euro, E-Book 16,99 Euro.