Also sprach der Rabe … und der überraschte Autor hörte zu

Rainer Ottes Lesung aus »Also sprach der Rabe – Denken mit Tieren« in der Kleintierpraxis André Schlaubke zeichnet Tiere in einem neuen, herrlich menschlichen Bild.

Eine Kleintierpraxis mag ein merkwürdiger Veranstaltungsort für eine literarische Lesung sein, trotzdem haben sich 25 Menschen gespannt in dem winzigen Wartezimmer versammelt. Von den Wänden starren Dutzende Tiergemälde und -statuen, die Tür zum Behandlungszimmer steht offen. Aber Rainer Ottes neueste Veröffentlichung »Also sprach der Rabe – Denken mit Tieren« passt perfekt in dieses Ambiente, geht es doch um eine ernsthafte Annahme: Tiere in ihrer Intelligenz und philosophischen Bedeutung.

© Parodos

Das Buch ist jedoch keine »fromme Tierfabel«, wie Otte zu Beginn betont. Stattdessen war sein Anspruch, den tierischen Aspekt in der menschlichen Gedankenwelt einzufangen und Gemeinsamkeiten aufzutun. Denn Menschen würden anders denken, wenn es keine Tiere gäbe und Ottes Buch zeigt, was Tiere im Unterbewusstsein alles anstellen können. Die Tiere standen schon immer in enger Verbindung mit der menschlichen Kultur und Gesellschaft. Früher wurden sie als Götter verehrt und wenngleich ihre Bedeutung seitdem viel geringer wurde, kann man heute genauso viel von ihnen lernen.

In seinen vielfältigen Ansätzen bedient Otte sich an den Gedankenspielen Dutzender Autoren und Gelehrter aus jeder Zeit und zeigt dabei, wie universell das Thema schon immer war. In der Psychoanalyse spielten Tiere schon zu Freuds Zeiten eine große Rolle. Aber auch in philosophischen Reflexionen begleitet Otte beispielsweise Leibniz bei dem Fund der Tierseele, oder sinniert gemeinsam mit Lichtenberg über das mögliche Bewusstsein des Todes im Tierleben. Gleichzeitig sind diese philosophischen und wissenschaftlichen Exkurse verbunden mit persönlichen Geschichten des Autors, die so grundlegend menschlich wirken, dass sie den Charme des Buches erst komplett machen.

Den harten Überlebenskampf eines Reihers im Winter mit daraus resultierender lebensmüder Hoffnungslosigkeit zu verstehen, ist eine ähnlich naheliegende Verbindung wie die scheinbaren Dankbarkeitsbezeugungen eines geretteten Huhnes. Und auch der Auszug über die Verzweiflung, die sich im Kampf gegen eine Mücke im nächtlichen Schlafzimmer breitmacht, stößt im Publikum auf Begeisterung, da sicher jeder diese Situation kennt. Otte schildert die Schlacht ausführlich und humorvoll, entschuldigt sich jedoch wegen des Todes der Mücke zum Ende. Denn man müsse sich auch über das Insektensterben Gedanken machen und wie wir mit Tieren umgehen.

In einem letzten Auszug erzählt Otte vom Vegetarismus und der plötzlichen Verfremdung, die der Mensch dem Schwein gegenüber sieht, sobald er es essen möchte. Ein ganzes Leben lang erkennen wir uns in den Tieren, aber sie »sind Lebewesen von einem anderen Stern, sobald man ihnen nach dem Leben trachtet.« Auch der Autor selbst sei Vegetarier, erfahren wir durch eine Publikumsfrage.

So möchte die Lesung mit einem Denkanstoß enden, aber eine weitere Publikumsstimme erhebt sich: Wüsste Otte denn nicht, dass alle Schweine und Kühe aussterben, wenn die Menschen plötzlich vegetarisch leben würden? Betretene Stille macht sich breit, in einer Raumecke schnauft es leise. Otte scheint durchaus langsam einatmen zu müssen, bevor er liberal in nichtssagendem Kauderwelsch antwortet. Auch Denkanstöße kommen leider nicht überall an.

Beitragsbild: © Marie Nowicki


Die Veranstaltung: Rainer Otte: Also sprach der Rabe – Denken mit Tieren, Kleintierpraxis André Schlaubke, 16.3.2018, 19.30 Uhr

Das Buch: Rainer Otte: Also sprach der Rabe – Denken mit Tieren. Parodos, Berlin 2017, 220 Seiten, 19,90 Euro


 

 

Die Rezensentin: Marie Nowicki